8.2.6. Smektische Flüssigkristalle

Auf dieser und den folgenden Seiten erfahren Sie mehr zu smektischen Flüssigkristallen (= smektischen Phasen). Im einzelnen geht es um diese Themen.

smektische Phase, idealisiert

Bild 1 : Idealisierte Darstellung des Aufbaus smektischer Phasen aus Schichten. Realistischere Beschrei­bungen finden Sie im weiteren Verlauf des Kapitels.

8.2.6.1. Chaos und Ordnung

Bei den nematischen Phasen war die Lage übersichtlich. Fernordnung war kaum vorhanden und mit wenigen Worten zu beschreiben. Der Temperaturbereich der Mesophase hing von einer Handvoll Einflussgrößen ab, die separiert und getrennt untersucht werden konnten.

Bei den smektischen Phasen ist das anders.

Es geht schon damit los, dass es nicht nur eine Art von smektischen Phasen gibt, sondern eine ganze Großfamilie. 14 solcher Phasen kann man ohne Probleme finden, und einige davon werden manchmal noch weiter unterteilt. Eine ganze Reihe dieser Phasen ist nicht wirklich flüssigkristallin (also flüssig und geordnet), sondern wird nur traditionell zu den smektischen Phasen gezählt.

Die Positionsfernordnung kann zwischen kaum wahrnehmbar und gut ausgeprägt liegen, ist also, im Gegensatz zu den nematischen Phasen, immer vorhanden. Die Orientierungsfernordnung liegt zwischen gering und fast perfekt.

Einige Stoffe nehmen nur eine der smektischen Phasen an, andere, abhängig von der Temperatur, mehrere.

Vielleicht haben Sie jetzt den Eindruck, hier regiert das Chaos. Nun ja, vielleicht. Oder auch nicht.

In diesem Abschnitt will ich versuchen, ein geordnetes Bild eines kleinen Ausschnitts der Welt, der smektischen Mesophasen nämlich, entstehen zu lassen.

Zuerst werde ich die einflussnehmenden Prinzipien und Größen benennen. Dann werde ich auf Strukturprinzipien der smektischen Phasen eingehen und die Zusammenhänge zu den Prinzipien aufzeigen. Schließlich werde ich einige Mitglieder aus der Großfamilie der smektischen Phasen vorstellen und deren Eigenschaften in Verbindung zur Struktur setzen.

Zum Abschluss will ich über einige Stoffe schreiben, die smektische Phasen bilden. Eine detaillierte Erklärung, warum Stoff X gerade die Phase Y bildet, liegt jenseits des Anspruchs des Buches.

8.2.6.2. Einflussnahme

Eine globale Erklärung dagegen, warum Stoff X gerade die Phase Y mit ihrer ganz eigenen Struktur bildet, ist einfach zu geben. Und ich kann diese Antwort geben, ohne auf spezielle Eigenschaften der beteiligten Moleküle zurückgreifen zu müssen – mit einer Ausnahme. Es sind kalamitische (stabförmige) Moleküle.

Es ist wieder die „wichtigste Frage” (wie sie lautet, steht in Kapitel 4, ganz am Anfang), die hier gestellt wird, und die Antwort ist dieselbe, die ich schon in Kapitel 4.1.9. und Kapitel 4.2.2.gegeben habe. Die Freie Enthalpie G des Stoffes X ist am niedrigsten, wenn er Phase Y bildet (bei gegebener Temperatur und Druck).

Für die Freie Enthalpie gilt (Kapitel 4.1.7.2.)

ΔG = ΔH – T ΔS __________ Gleichung 4.15, wiederholt.

 

Enthalpie und Entropie
Stabilität einer Phase

Bild 2 : Größen, die Einfluss auf die Stabilität einer Phase nehmen. Das dunkelblaue statische Bild links symbolisiert eine stabile Phase, das feurig–dynamische rechts eine instabile Phase.

Die Einflussnahme der beiden Größen können Sie aus Gleichung 4.15 oder anschaulich aus Bild 2 entnehmen.

Vorteilhaft für die Stabilität einer bestimmten Phase ist zum einen eine niedrige Enthalpie. Die Enthalpie ist der Wärmeinhalt der Phase, und (wie in Kapitel xxx demnächst erklärt) eine Phase hat einen niedrigen Wärmeinhalt, wenn sie starke Bindungen innerhalb der Moleküle und zwischen den Molekülen besitzt.

Andererseits ist eine hohe Entropie, besonders bei hoher Temperatur, günstig für die Stabilität der Phase. Hohe Entropie aber bedeutet wenig Ordnung. Das heißt, Unordnung (fehlende oder geringe Ordnung) stabilisiert die Phase.

Ordnung und Unordnung
Ordnung und Unordnung

Bild 3 : Ordnung und Unordnung bei kalamitischen Molekülen. Geordnete Phasen haben eine niedrige Entropie, und, da sie bei niedrigen Temperaturen auftreten, eine niedrige Enthalpie.
Hinweis 1 : Obwohl ich mir Mühe gegeben habe, die Streichhölzer durcheinander zu bringen, ist nie „perfekte Unordnung” aufgetreten, und Sie finden auch im Bild rechts kleine geordnete Bereiche.
Hinweis 2 : Die Streichhölzer sind eine symbolische Darstellung. In keiner der smektischen Phasen sind die Moleküle genauso angeordnet wie auf einem der zwei Bilder.

Stellen Sie sich nun eine große Gruppe kalamitischer (stabförmiger) Moleküle vor. Bild 3 zeigt die Zusammenhänge zwischen Ordnung/Unordnung und Enthalpie/Entropie.

Maximale Ordnung ist vorhanden, wenn die Moleküle, wie die Streichhölzer in der Schachtel, exakt nebeneinander liegen. Dann können leicht Wechselwirkungen zwischen den Molekülen stattfinden. Wechselwirkungen und Bindungen aber bedeuten einen niedrigen Wärmeinhalt. Deshalb treten geordnete Phasen bei niedrigerer Temperatur auf als ungeordnete. Hohe Ordnung ist also mit geringer Enthalpie korreliert.

Die gegenteilige Situation zeigt der rechte Bildteil. Bei steigender Temperatur steigt die Enthalpie (der Wärmeinhalt) des Systems. Die Wechselwirkungen (sehr schwachen Bindungen) zwischen den Molekülen werden gelöst, die Moleküle liegen ungeordnet herum, und das heißt, die Entropie des Systems ist gestiegen.

Wer gewinnt ?

Für die Moleküle, die smektische Phasen bilden, gibt es viele Möglichkeiten, sich zu größeren Einheiten mit stufenweise immer größerer Ordnung zusammenzuschließen. Gleichzeitig mit immer größerer Ordnung besitzen diese Einheiten immer niedrigere Enthalpie, denn sie bestehen ja aus stabförmigen Molekülen, die sich wie die Streichhölzer nebeneinander legen können und dann Wechselwirkungen (schwache Bindungen) ausbilden können.

Auch bei nur geringen Temperaturdifferenzen haben so immer andere Phasen die niedrigste Freie Enthalpie.

Somit ist die Vielfalt der smektischen Phasen im Prinzip erklärt.

Ladungen und Geometrie

Enthalpie und Entropie sind die übergeordneten Prinzipien, die für das Auftreten einer so großen Zahl von smektischen Phasen verantwortlich sind. Aber auch die Moleküle selbst müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, denn wenn man die Gesamtheit aller Stoffe betrachtet, bilden nur wenige überhaupt eine smektische Phase.

Es stellt sich also eine Frage. Welchen Bau, welche Struktur müssen kalamitische Moleküle haben, um sich in kleinen Schritten immer anders ordnen zu können und dabei ihre Freie Enthalpie immer weiter zu erniedrigen ?

In der Antwort finden wir nur alte Bekannte.

8.2.6.3. Strukturprinzip Schichtenbildung

In allen smektischen Phasen sind die Moleküle in Schichten (engl. layers) angeordnet. So liest man es in jedem Lehrbuch. Und alle, die das lesen, werden sofort und intuitiv, also ohne bewusstes Nachdenken, eine Vorstellung davon haben, wie diese Schichten aussehen. Diese Vorstellung ist subjektiv. Ob sie richtig ist, ist eine andere Frage.

Gesteinsschichten

Bild 4 : Gesteinsschichten in der Wuthaer Verwerfung in der Gemeinde Wutha–Farnroda / Thüringen. Sie sind in einem ehemaligen Steinbruch zutage getreten und etwa 240 Millionen Jahre alt.

In diesem Abschnitt werde ich nach einer kurzen Vorrede ausführlich ideale und realistische Modelle der Schichtstruktur smektischer Phasen beschreiben.

Eine Schicht – Was ist das ?

In der Geologie kennt man Schichten, die von Gesteinen gebildet werden. Bild 4 zeigt solche Gesteinsschichten (→ Fußnote 1). Sie besitzen eine klare Struktur. Jede Schicht hat eine Ober– und eine Unterseite, die sie eindeutig von den Nachbarschichten trennt.

Fußnote 1 : Gesteinsschichten bilden sich, indem im Verlauf geologischer Zeiträume (bis zu vielen Millionen Jahren) immer wieder anderes Material abgelagert wird.

 

Ausschnitt aus einem Graphitkristall

Bild 5 : Schichtstruktur im Graphitkristall.

In einigen Stoffen bilden die kleinsten Teilchen Schichtstrukturen aus. Eines der bekannten Beispiel ist Graphit. Wieder haben die Schichten (vgl. Bild 5) eine klare Struktur und sind eindeutig von ihren Nachbarschichten getrennt.

Im Alltag denken Sie vielleicht an ordentlich gestapelte Bücher oder Handtücher, und immer gibt es eine klare Trennung zwischen den einzelnen Schichten.

Warum sollte es bei smektischen Phasen von Flüssigkristallen anders sein ?

Schichten in smektischen Phasen – eine intuitive Vorstellung

Wie wird wohl eine Molekülschicht in einer smektischen Phase ausehen ? In Bild 6 sehen Sie eine erste Vorstellung.

Die Moleküle sind stabförmig (kalamitisch). Ich habe sie als grüne Stäbe gezeichnet. In der Mitte trägt jedes Molekül einen roten Punkt. Er hat keine chemische oder physikalische Bedeutung und dient nur zur Markierung der Molekülmitte.

Molekülschichten in einer smektischen Phase

Bild 6 : 4 Molekülschichten einer smektischen Phase, idealisiert und schematisch.

Die Moleküle sind nicht alle gleich ausgerichtet, und sie stehen nicht alle senkrecht. Ihre mittlere Richtung ist tatsächlich senkrecht zur Ebene der Schichten, und die Richtung der einzelnen Moleküle zeigt eine, meist geringe, manchmal auch größere, Abweichung von der Senkrechten. Das ist die Orientierungsfernordnung, die man, wie in Kapitel 8.2.3. erklärt, durch den Director und den Ordnungsparameter beschreiben kann.

Die Moleküle sind perfekt in Schichten angeordnet. Sie sehen das an den roten Punkten, die in jeder Schicht exakt in gleicher Höhe liegen. Ich habe 4 Schichten gezeichnet, und sie sind vollständig voneinander getrennt, kein Molekül bricht aus seiner Schicht aus.

So wie in Bild 6 oder ähnlich wird der Aufbau smektischer Phasen oft in Büchern dargestellt. Als ich solche Bilder ein paarmal gesehen habe, kamen Fragen auf. Ein Flüssigkristall ist flüssig und hat damit ein sehr dynamisches Verhalten. Die Anziehungskräfte zwischen den Molekülen sind gering. Dann ist klar, dass sich die Moleküle relativ zueinander bewegen. Sie werden sich innerhalb einer Schicht frei bewegen, im Bild nach rechts und links, nach vorn und hinten bewegen. Aber warum nicht nach oben und unten ? Was ist das für eine Wand, die zwischen den Schichten ist und jeden Austausch verhindert ?

Die Antwort erscheint nur auf den ersten Blick überraschend. Es gibt keine Wand zwischen den Schichten. Die Moleküle bewegen sich auch von einer Schicht zur nächsten.

Die Darstellung in Bild 6 kann man idealisiert oder schematisch nennen. Sie ist ein Modell des Aufbaus smektischer Schichten, das einige Details ausblendet.

Das heißt auch, keine einzige der vielen smektischen Phasen ist exakt genauso aufgebaut wie eben beschrieben und in Bild 6 gezeichnet. Trotzdem gibt es smektische Phasen, in denen die Schichtstruktur sehr deutlich ausgeprägt ist, fast wie im Bild.

Schichten in smektischen Phasen – nicht mehr ganz perfekt

Die Moleküle sind nicht in den Schichten gefangen, sondern können… . Ja, wie werden sich die einzelnen Moleküle verhalten ? Werden sie völlig frei zwischen den Schichten wechseln ? Aber dann wären es keine Schichten mehr. Oder werden nur einzelne Moleküle ihre Schicht verlassen ? Oder werden sie nur ein wenig über den Rand ihrer Schicht hinausragen ?

Molekülschichten in einer smektischen Phase

Bild 7 : 4 Molekülschichten einer smektischen Phase, mit Ausreißern.

Bild 7 zeigt eine solche Situation. Es sind wieder 4 Molekülschichten vorhanden. Die meisten Moleküle sind exakt in einer der Schichten angeordnet. Sie sehen das an den roten Punkten, die die Molekülmitte markieren. Fast alle roten Punkte sind auf einer der 4 Schichtmitten. Nur wenige sind ein kleines Stück nach oben oder unten versetzt. Die zugehörigen Moleküle ragen ein kleines Stück aus ihrer Schicht heraus.

Auch wenn dieses Modell genauso wenig realistisch ist wie das vorige, so bereitet es doch vor auf ein Modell, das komplexer und ausgefeilter, und damit auch näher an der Realität ist.

Dichtewellen in smektischen Phasen

In diesem Abschnitt erkläre ich, was man bei smektischen Phasen unter Dichtewellen (engl. density waves) versteht. Das ist sinnvoll, denn es beschreibt die Struktur einiger der wichtigen smektischen Phasen realistisch.

Zuerst will ich kurz über eine Eigenschaft der smektischen Phasen schreiben, um die es im Modell der Dichtewellen nicht geht. Es macht keine Aussage über die Orientierungsfernordnung. Da ich aber in den folgenden Bildern die Moleküle irgendwie orientiert zeichnen muss, werde ich sie so zeichnen, wie ich es in allen vorigen Abschnitten gemacht habe. Die Moleküle besitzen Orientierungsfernordnung, die man mit einem Director und dem Ordnungsparameter beschreiben kann (vgl. Kapitel 8.2.3.). Sie sind auf der Zeichenfläche im Mittel senkrecht angeordnet (das ist also die Richtung des Directors) und zeigen eine, meist geringe, Abweichung von der Senkrechten.

In einigen Gebieten von Chemie und Physik beschreibt man mit dem Begriff Dichtewelle einen Zustand, bei dem Materie (oder Ladung oder etwas anderes) in einem, meist räumlich begrenzten, Bereich unterschiedliche Dichte hat, und dass sich diese Dichteunterschiede periodisch wiederholen.

Auch hier, in den smektischen Phasen, ist das so.

Jedoch hat nicht die Materie selbst eine periodisch unterschiedliche Dichte. Die Dichte in der smektischen Phase ist überall gleich.

Vielmehr sind es die Mittelpunkte der Moleküle, deren Dichte (das heißt in diesem Fall die Anzahl pro Volumeneinheit) sich periodisch ändert.

Dichtewellen in einer smektischen Phase

Bild 8 : Dichtewellen in einer smektischen Phase, Computersimulation. Mehr Info im Text.

Was mit dieser Aussage gemeint ist, kann man leicht verstehen, wenn man sich Bild 8 ansieht. Es ist eine Computersimulation eines kleinen Ausschnitts einer smektischen Phase, ähnlich den Bildern 6 und 7.

Wieder sind die Moleküle als grüne Stäbe und deren Mittelpunkte als rote Punkte dargestellt. In einigen Gebieten häufen sich die roten Punkte. Es sind auf dem Bild 4 waagrecht verlaufende Zonen, die ich mit M markiert habe. Dort ist also deren Dichte (Zahl pro Volumeneinheit) groß.

In anderen Gebieten sind fast gar keine roten Punkte zu finden. Dies sind 3 waagrecht verlaufende, mit Z markierte, Zonen. Die Zonen Z verlaufen genau zwischen den Zonen M. In den Zonen Z ist die Dichte der roten Punkte (Molekülmittelpunkte) fast Null.

Zwischen den Zonen Z und M nimmt die Dichte der Molekülmittelpunkte kontinuierlich zu (oder ab), auch wenn man es auf dem kleinen Ausschnitt in Bild 8 nicht gut sieht.

Geht man in Bild 8 waagrecht von links nach rechts oder von vorn nach hinten, bleibt die Dichte der Molekülmittelpunkte (im Rahmen zufälliger Schwankungen) gleich.

Dichtewellen in smektischen Phasen : Die Dichte der Molekülmittelpunkte (das heißt, deren Anzahl pro Volumeneinheit) ändert sich periodisch. Diese periodische Änderung findet nur in einer Dimension statt, in den anderen beiden Dimensionen ist diese Dichte (abgesehen von zufälligen Schwankungen) konstant.

Die rechte Seite von Bild 8 zeigt die Dichtewellen anschaulich, der vorhergehende Text beschreibt sie qualitativ. Kann man auch quantitative Aussagen über die Dichtewellen machen ?

Ja. Sehen Sie sich die linke Seite von Bild 8 an. Es ist der Graph einer Funktion, so wie man ihn in der Schule kennen lernt. Nur ist er hier um 90 Grad gedreht. Die x–Achse zeigt nach oben, die y–Achse nach links. So ist die x–Achse gerade in der Richtung, in der die Dichtewellen verlaufen. Auf der y–Achse ist die Häufigkeit der Molekülmittelpunkte an der Stelle x (genau : in einem kleinen Bereich um x) aufgetragen.

Die Funktion im Graphen ist die Sinusfunktion. Im gezeichneten Bereich hat sie 4 Maxima, immer dort, wo ganz rechts ein M steht. In diesen waagrechten Zonen M hat die Dichte der Molekülmittelpunkte ein Maximum. Außerdem hat sie im gezeichneten Bereich 3 Minima, immer an den Markierungen Z. In den waagrechten Zonen Z ist die Dichte der Molekülmittelpunkte minimal, das heißt, dort sind nur wenige.

Dichtewellen vs. Schichten

Auch wenn ich die Dichtewellen sehr ausführlich beschrieben habe, bleibt vielleicht noch eine Frage. Bestehen die smektischen Phasen nun aus Schichten, wie oft beschrieben, oder nicht ?

Wenn Sie als Antwort entweder ja oder nein erwarten, muss ich Sie enttäuschen.

In Bild 8 kann man, wenn man es möchte, durchaus Schichten sehen. Es sind keine perfekten Schichten wie in Bild 6, es sind eher Schichten, die in Auflösung begriffen sind. Dichtewellen sind keine Schichten mit klarer Ober– und Unterkante wie die Gesteinsschichten in Bild 4, sondern Schichten, die fließend ineinander übergehen.

Kann man auch die Dicke einer Schicht angeben ? Sinnvoll ist, die Dicke einer Schicht als den Abstand zweier Minima der Sinusfunktion, die die Dichtewelle beschreibt, zu bezeichnen. Genauso ist der Abstand zweier Schichten der Abstand zweier Maxima der Dichtewellenfunktion.

Meereswellen

Bild 9 : Meereswellen sind so dynamisch wie Dichtewellen in smektischen Phasen.

Dichtewellen sind dynamisch

Niemand wird erwarten, dass die Meereswelle in Bild 9 auch nur eine Zehntelsekunde so bestehen bleibt. Sie ist ein sehr dynamisches Gebilde, dass ständig seine Form ändert. Sie tut dies, indem die einzelnen Wassertropfen, aus denen sie besteht, sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und in unterschiedliche Richtung bewegen.

Dichtewellen können Sie sich genauso vorstellen. Bild 8 ist eine Momentaufnahme, wie ein Foto. Ein paar Millisekunden später sind die Moleküle ganz anders angeordnet. Alle bewegen sich unterschiedlich. Sie können sich innerhalb der Schichten bewegen (auf dem Bild zum Beispiel von links nach rechts oder von vorn nach hinten). Das passiert häufig. Sie können sich von einer Schicht in die Nachbarschicht bewegen (von oben nach unten). Diese Bewegung kann schnell oder langsam, über eine weite oder eine kurze Strecke erfolgen. Sie können um ihre Längsachse rotieren, und sie können ihre Orientierung ändern (Kippen zur Seite, oft oder selten, stärker oder schwächer, bald wieder zurückkippend oder länger gekippt bleibend). Auch diese Bewegungen sind sehr häufig.

8.2.6.4. Strukturprinzip Molekülausrichtung

Molekülschichten in einer smektischen Phase

Bild 10 : 4 Molekülschichten einer smektischen Phase, idealisiert und schematisch. Die Moleküle sind gekippt.

In Bild 6 habe ich die Moleküle so gezeichnet, dass sie senkrecht zu den Schichten stehen – oder senkrecht in den Schichten.

Man kann diese Anordnung genauer so beschreiben : Die Moleküle bilden Schichten, und zwischen den Schichten sind (parallele) Ebenen. Der Director (der die mittlere Ausrichtung der Moleküle beschreibt) steht senkrecht auf diesen Ebenen. Auch wenn sich die Schichten in Dichtewellen aufgelöst haben (vgl. Bild 8), kann man an dieselben Stellen Ebenen legen und den Director senkrecht darauf stellen.

Der Director kann senkrecht auf den Schichten stehen, muss es aber nicht. Bild 10 zeigt eine Anordnung, bei der der Director um etwa 30 Grad gekippt (engl. tilted) zu den Schichtebenen steht. Die Moleküle weichen von dieser mittleren Richtung mehr oder weniger ab, sind also stärker oder weniger stark gekippt.

Beachten Sie, dass in Bild 10 die Moleküle in allen Schichten in dieselbe Richtung gekippt sind. Das kann so sein, muss aber nicht.

8.2.6.5. Strukturprinzip Reichweite der Ordnung

Scheinbar ist die Situation klar, und ich hatte sie in einer Tabelle zu Beginn des Kapitels beschrieben. In Flüssigkristallphasen liegt überhaupt keine Positionsfernordnung vor. Orientierungsfernordnung ist eingeschränkt vorhanden. Sie kann durch Director und Ordnungsparameter beschrieben werden (Kapitel 8.2.3.1. und 8.2.3.2.).

In nematischen Phasen, den am wenigsten geordneten Flüssigkristallphasen, ist dieses Verhalten ohne wenn und aber verwirklicht. Vielleicht werden die nematischen Phasen deshalb als die typischen Flüssigkristalle und als Stellvertreter für alle anderen angesehen.

Jetzt, bei den smektischen Phasen, müssen wir uns von dieser Anschauung verabschieden. Schon in Kapitel 8.2.6.3, bei der Schichtenbildung und den Dichtewellen, haben Sie gesehen, dass Positionsfernordnung in einem gewissen Maß auftreten kann.

Im folgenden werde ich systematisch vorgehen und die anzutreffenden Ordnungszustände in 3 Gruppen einteilen.

8.2.6.5.1. Positionsordnung innerhalb der Schichten

Schon oft habe ich gesagt, dass in Flüssigkristallen keine Positionsfernordnung auftritt. Damit ist Nahordnung nicht ausgeschlossen, und, falls es etwas zwischen Nah– und Fernordnung gibt, auch das nicht.

8.2.6.5.1.1. Nur Nahordnung in der gesamten Schicht

In Kapitel xxx (demnächst) werde ich ausführlich darauf eingehen, dass in Flüssigkeiten immer Nahordnung vorliegt und diesen Begriff erklären.

Molekülschichten in einer smektischen Phase Molekülschichten in einer smektischen Phase

Bild 11 : Eine Schicht einer smektischen Mesophase, zuerst von oben, dann von vorn. In dieser Schicht ist nur Nahordnung vorhanden.

Auch in smektischen Mesophasen ist es möglich, dass in einer Schicht nur Nahordnung (engl. short range order) vorliegt. Rund um ein Molekül ordnen sich die Nachbarn fast regelmäßig an, aber je weiter man sich vom Anfangsmolekül entfernt, umso mehr gewinnt der Zufall die Oberhand und die Anordnung wird zunehmend unregelmäßig. Es ist das, was man von einem Flüssigkristall erwartet, er ist ja flüssig.

Bild 11 zeigt eine Schicht, in der nur Nahordnung vorliegt, zuerst von oben, dann von der Seite (hier ähnelt das Bild einem Ausschnitt von Bild 6). In der Ansicht von oben sieht man die stabförmigen Moleküle nur als Kreis, und die Kreise sind unregelmäßig angeordnet.

8.2.6.5.1.2. Lokale Ordnung

In smektischen Mesophasen ist es möglich, dass innerhalb einer Schicht zwar eine lokale Ordnung vorliegt, über größere Entfernungen aber keine Ordnung besteht.

Wie kann man sich eine solche lokale Ordnung vorstellen ? In Bild 12 habe ich versucht, sie graphisch zu veranschaulichen. Die Ansicht von oben ist die instruktivere der beiden.

Lokale Ordnung in einer smektischen Phase Lokale Ordnung in einer smektischen Phase

Bild 12 : Eine Schicht einer smektischen Mesophase, zuerst von oben, dann von vorn. In dieser Schicht ist lokale Ordnung vorhanden.

Ich habe die stabförmigen Moleküle meist zu Siebener–Gruppen zusammengesetzt. Ein zentrales Molekül ist jeweils von 6 anderen umgeben. Damit ist gewiss in einem kleinen Bereich, also lokal, eine Ordnung vorhanden. Manchmal habe ich auch größere oder kleinere Gruppen gebildet. Die Gruppen habe ich zufällig in der Schicht angeordnet, wie in einer Flüssigkeit. Damit ist gewiss über weite Entfernung keine Ordnung mehr vorhanden.

Zudem habe ich die Molekülgruppen unterschiedlich eingefärbt : dunkel–, mittel– und hellgrün. So können Sie in den beiden Teilansichten die Gruppen leicht wiederfinden.

Ist diese Darstellung plausibel ? Man kann auch fragen, ob sie mit den Gesetzen der Physik vereinbar ist. Würde das Bild diesen Gesetzen widersprechen, wäre es falsch.

Sehen Sie sich zum Vergleich die Situation im Wasser (Kapitel xxx) an. Dort bilden sich Cluster aus Wassermolekülen. Die anziehenden Kräfte zwischen den Wassermolekülen (Wasserstoffbrückenbindungen) reichen aus, um eine Handvoll Moleküle aneinander zu binden, nicht aber mehr. Der Unterschied zu smektischen Schichten mit lokaler Ordnung ist, dass die Cluster im Wasser ungeordnet sind, hier aber geordnet. Grund für die Ordnung ist, dass die relativ großen Flüssigkristallmoleküle eine größere Berührungsfläche haben und sich so mehr (schwache) Bindungen ausbilden können.

Ist diese Darstellung realistisch ? Ja und nein. Als schematische, idealisierte Veranschaulichung ist sie gut. Doch wie sieht es im Detail aus ?

Dass ein Molekül ringförmig von 6 weiteren umgeben ist, ist die am häufigsten vorkommende Situation. So wie man um einen Kreis 6 gleichgroße Kreise herumlegen kann, können sich auch um ein stabförmiges Molekül 6 gleiche herum legen.

Jedoch sind die Siebener–Gruppen von Bild 12 nicht die einzige Möglichkeit. So wie man im Wasser eine durchschnittliche Clustergröße angeben kann, ist auch hier die Zahl 7 eine Durchschnittsgröße. Es können größere und kleinere Ensembles auftreten. Deshalb sind die Gruppen meist Siebener–Gruppen, jedoch sind einige größer oder kleiner.

Bild 12 zeigt eine in vielerlei Hinsicht statische Situation, denn ein Bild ist immer statisch. Und auch beim Wort Ordnung denken viele Menschen an eine unbewegliche, statische Situation. Das muss aber nicht sein. Ordnung kann durchaus dynamisch sein, so auch hier.

Zum einen bleiben die Ensembles (aus 7, oder mehr oder weniger Molekülen) nicht unbeweglich an ihrem Platz, sondern bewegen sich, wie Teilchen in einer Flüssigkeit.

Zum zweiten ist die Größe der Ensembles variabel, so wie die Größe der Cluster im Wasser. Ensembles können einzelne Moleküle verlieren, andere gewinnen diese Moleküle neu hinzu, oder anders gesagt, Moleküle können von einem Ensemble zum anderen wandern. Vorn rechts könnte es sein, dass 3 Siebener–Gruppen zusammengestoßen sind, und eine (die mittlere) hat Moleküle an ihre Nachbarn verloren.

Weiter habe ich die Abstände zwischen den Ensembles unrealistisch groß gezeichnet, zur besseren Übersichtlichkeit.

Schließlich sind im Bild alle Ensembles gleich ausgerichtet. Das ist leicht zu zeichnen, hat aber nichts mit Positionsordnung zu tun. Bei der Besprechung der Orientierung werde ich darauf zurückkommen.

8.2.6.5.1.3. Fernordnung in der Schicht

In smektischen Mesophasen ist es möglich, dass innerhalb einer Schicht Fernordnung vorliegt.

Bild 13 zeigt eine solche Schicht mit Fernordnung.

Lokale Ordnung in einer smektischen Phase Lokale Ordnung in einer smektischen Phase

Bild 13 : Eine Schicht einer smektischen Mesophase, zuerst von oben, dann von vorn. In dieser Schicht ist Fernordnung vorhanden.

Ist diese Darstellung plausibel ? Ja, es gibt keine Widersprüche zu den Gesetzen der Physik. Je nachdem, wie die Moleküle gebaut sind, können mehr oder weniger, stärkere oder schwächere Kräfte zwischen den Molekülen wirken. Sie können gerade mal für Nahordnung ausreichen, oder sie können stark genug zur Ausbildung lokaler Ordnung sein, oder sie können noch stärker sein und Fernordnung bewirken.

Ist diese Darstellung realistisch ? Ja, es gibt tatsächlich smektische Mesophasen mit Fernordnung in den Schichten.

Ist das, was hier beschrieben wird, überhaupt noch ein Flüssigkristall ? Es macht eher den Eindruck eines Kristalls, wie in Kapitel 7.

Dazu kann ich 2 Argumente vorbringen und eine Aussage, die kein Argument ist.

Erstes Argument : Ich habe nur über einzelne Schichten in einer Mesophase geschrieben, nicht aber über die gesamte Phase. Denkbar ist, dass die Schichten gegeneinander verschiebbar sind, so wie man aus einem Bücherstapel ein Buch herausziehen kann. Mehr dazu ein Stück weiter unten.

Zweites Argument : Innerhalb der Schichten sind die Moleküle zwar geordnet, aber nicht unbeweglich. Sie können im Kristall um ihre Längsachse rotieren, sogar um die Querachse, und Moleküle in benachbarten Schichten können unterschiedlich angeordnet sein.

Aussage, die kein Argument ist : Man zählt Mesophasen, in deren Schichten Fernordnung besteht, traditionell zu den Flüssigkristallen.

8.2.6.5.2. Positionsordnung zwischen den Schichten

Bisher haben Sie die Schichten in einer Mesophase als abgegrenzte Einheiten kennen gelernt, und auch wenn Dichtewellen vorlagen, habe ich dieses Bild gezeichnet. Tatsächlich können sich Nachbarschichten gegenseitig beeinflussen.

8.2.6.5.2.1. Nur Nahordnung zwischen den Schichten

In Kapitel 8.2.6.5.1. habe ich Nahordnung innerhalb der Schichten einer smektischen Mesophase beschrieben. Das ist recht einfach zu verstehen, denn die nahgeordneten Moleküle liegen nebeneinander. Aber wie soll man sich das zwischen den Schichten vorstellen ? Die Moleküle haben ja so gut wie keine Berührungsfläche.

Ausschnitt einer smektischen Phase Ausschnitt einer smektischen Phase

Bild 14 : 2 Schichten einer smektischen Mesophase (Ausschnitt), erst von oben, dann von vorn. Zwischen den Schichten ist nur Nahordnung vorhanden.

Ich gehe von einem einzelnen (stabförmigen) Molekül aus. Wie sieht die Umgebung dieses Moleküls in seiner Nachbarschicht aus ? Dort sind auch Moleküle, und sie sind gegenüber dem ersten Molekül zufällig angeordnet. Einige werden nur einen geringen Abstand zu ihm haben, andere einen größeren.

Bild 14 zeigt die Situation. Das einzelne Molekül in der ersten Schicht habe ich diesmal blau gezeichnet, seine Nachbarn in der Nachbarschicht (also die Moleküle, die ihm in der Nachbarschicht am nächsten kommen) wie üblich grün. Links ist die Szene von oben zu sehen, rechts von der Seite.

Sie sehen überhaupt keinen Zusammenhang zwischen den Positionen, keine Beeinflussung, alles ist zufällig. So sollte man sich Nahordnung zwischen den Schichten vorstellen. Die Moleküle nehmen gegenseitig zufällige Positionen ein. Im Abschnitt über die Schichtenbildung (Kapitel 8.2.6.3.) habe ich immer Nahordnung zwischen den Schichten gezeichnet.

8.2.6.5.2.2. Quasi–Fernordnung zwischen den Schichten

In smektischen Mesophasen ist es möglich, dass zwischen den Schichten zwar eine Positionsordnung besteht, dass dies aber keine echte Positionsfernordnung wie in Kristallen ist, sondern eine schwächere Ordnung.

Diese schwächere Ordnung wird in englischsprachigen Texten als quasi–long–range order bezeichnet. Ein deutscher Begriff ist Quasi–Fernordnung.

Es ist keine perfekte Ordnung, nur eine teilweise Ordnung. Je weiter 2 Schichten voneinander entfernt sind, umso geringer ist die Übereinstimmung der Molekülpositionen, umso geringer also die Ordnung. Die Ordnung nimmt nicht exponentiell ab (das würde man als schnelle Abnahme ansehen), sondern nach einem Potenzgesetz (zum Beispiel linear, quadratisch oder mit einer anderen Potenz, was man im Vergleich zur exponentiellen Abnahme als langsam ansieht).

8.2.6.5.2.3. Fernordnung zwischen den Schichten

In smektischen Mesophasen ist es möglich, dass zwischen den Schichten Positionsfernordnung vorhanden ist.

Sicher werden Sie sofort fragen : Ist das nun ein Kristall ? Oder andersherum : Wie kann es sein, dass es in einem Nicht–Kristall Positionsfernordnung gibt ?

Vielleicht von immer wieder derselben Frage genervt, hat man in englischsprachigen Texten für dieses Phänomen den Begriff true long range order eingeführt. Im Deutschen könnte man es als wahre, wirkliche oder echte Positionsfernordnung bezeichnen. Ich werde, wenn es zur Klarheit nötig ist, von echter Fernordnung sprechen.

Ist es fest oder flüssig ? Wenn in einem Stück Materie Positionsfernordnung vorliegt, bedeutet das, dass die Positionen der Moleküle über einen großen räumlichen Bereich festgelegt sind. Das heißt auch, dass sie unveränderlich sind. Ein solches Stück Materie wird also nicht fließen wie andere flüssigkristalline Phasen oder gar wie isotrope Flüssigkeiten, sondern es wird nach außen fest erscheinen, wie ein Kristall.

Ist es ein Kristall, wie in Kapitel 7 beschrieben ? Wenn in einem Stück Materie Positionsfernordnung vorliegt, sind die Positionen der Moleküle festgelegt, nichts weiter. So können sich zum Beispiel die Moleküle an ihren Positionen bewegen. Sie können um ihre lange Achse und sogar um andere Achsen rotieren. So etwas ist nicht ungewöhnlich. Es kommt immer wieder vor, dass Moleküle an ihren Positionen im Kristall rotieren. Oft spricht man dann von einem plastischen Kristall (vgl. Kapitel xxx – demnächst). Hier zählt man es zu den Mesophasen.

Außerdem habe ich nichts über die Orientierung gesagt. Auch wenn Positionsfernordnung vorhanden ist, muss das nicht für Orientierungsfernordnung gelten.

Ein experimenteller Befund unterstützt die Sicht, dass es kein echter Kristall ist. Beim Phasenübergang zwischen einer Mesophase mit Positionsfernordnung und einer kristallinen Phase treten große Änderungen in Volumen und Entropie auf. Das ist leicht zu verstehen. In solchen Mesophasen liegt keine Orientierungsfernordnung vor. Die Ordnung insgesamt ist also geringer als in kristallinen Phasen (die immer Orientierungsfernordnung besitzen). Geringere Ordnung bedeutet höhere Entropie (vgl. Kapitel 4.1.6.4.). Und auch, dass Moleküle mit unterschiedlicher Orientierung mehr Platz benötigen als solche, die in gleicher Richtung nebeneinander liegen, ist schnell klar.

8.2.6.5.3. Orientierungsordnung

Nicht nur die Positionsfernordnung kann in smektischen Mesophasen in unterschiedlichem Ausmaß und in verschiedenen Ausprägungen auftreten, auch bei der Orientierungsordnung ist das möglich.

8.2.6.5.3.1. Keinerlei Ordnung in der Orientierung

Fußnote 2 : Fehlende Orientierungsfernordnung ist vielmehr charakteristisch für isotrope Flüssigkeiten (Kapitel 9 – demnächst), Gase (Kapitel 10), amorphe Stoffe und Gläser (Kapitel 8.1. – demnächst).

Wie ich bereits ganz am Anfang des großen Abschnitts über Flüssigkristalle bemerkt hatte (in Kapitel 8.2.1.), ist Orientierungsfernordnung in Mesophasen immer vorhanden. Es gibt keine Mesophasen ohne Orientierungsfernordnung (→ Fußnote 2).

Fußnote 2 : Fehlende Orientierungsfernordnung ist vielmehr charakteristisch für isotrope Flüssigkeiten (Kapitel 9 – demnächst), Gase (Kapitel 10), amorphe Stoffe und Gläser (Kapitel 8.1. – demnächst).

8.2.6.5.3.2. Orientierung, die um einen Mittelwert streut

In Kapitel 8.2.3. habe ich erklärt, dass Moleküle in Mesophasen eine Durchschnittsrichtung ihrer Orientierung besitzen, von der sie mehr oder (meist) weniger abweichen. Man kann dieses Phänomen mit dem Director und dem Ordnungsparameter beschreiben.

Natürlich gibt es auch smektische Mesophasen, in denen die Moleküle in einer solchen Weise angeordnet sind. Es ist sogar so, dass in den häufigsten und wichtigsten Mesophasen diese Form der Orientierungsfernordnung auftritt.

In den Bildern 6 bis 11 ging es um Positionsfernordnung, aber irgendwie musste ich die Moleküle orientieren. Ich habe sie in allen diesen Bildern immer so gezeichnet, wie eben beschrieben, mit einer Orientierung, die um einen Mittelwert streut.

Doch sollte man sich bewusst machen, dass es eine eher schwache Ordnung ist. Gibt es auch Mesophasen, die bezüglich ihrer Orientierung stärker geordnet sind ?

Ja.

Ausschnitt einer smektischen Phase

Bild 15 : Alle Moleküle sind in die gleiche Richtung orientiert, so als ob eine Bindung zwischen ihnen verlaufen würde. Es liegt bond orientational order vor.

8.2.6.5.3.3. Bond orientational order

Sehen Sie sich Bild 15 an. Es ist einem Ausschnitt von Bild 12 ähnlich. Dort ging es um die Positionen der Moleküle. Jetzt geht es um ihre Orientierung. Und das erste, was auffällt, ist, dass alle Moleküle gleich orientiert sind. Das heißt, sie zeigen alle in die gleiche Richtung.

Als man diese Ordnung das erste Mal gesehen hatte, war schnell die Idee da, dass es Bindungen sind, die für die Gleich–Orientierung sorgen. Und mit den Kenntnissen, die Sie im Verlauf dieses Abschnitts erhalten haben, wird genauso schnell klar, dass es wohl van–der–Waals–Kräfte sind, die hier wieder einmal wirken.

Man bezeichnet diese Art der Orientierungsfernordnung als bond orientational order. Einen deutschen Begriff dafür kenne ich nicht.

Ist das Bond–orientational–order–Modell realistisch ? – Ist es realistisch, anzunehmen, dass in einer flüssigkristallinen Phase eine so stark ausgeprägte Ordnung vorhanden ist ? Wenn man immer wieder gehört hat, dass in Flüssigkristallen kaum Ordnung herrscht, will man es kaum glauben. Formuliert man die Frage anders und will wissen, ob in einem Stoff eine so ausgeprägte Ordnung vorhanden sein kann, wird man leichter ja sagen.

Bindungen zwischen 2 kalamitischen Molekülen, schematisch

Bild 16 : Zwischen den langen Molekülen unten bilden sich mehr Bindungen aus als zwischen den kurzen oben. Nur die unteren können bond–orientational–order–Phasen bilden.

Sehen Sie sich Bild 16 an. Im oberen Teil sind 2 kalamitische (stabförmige) Moleküle. Sie sind relativ kurz (ihr Länge–Breite–Verhältnis ist relativ klein) und deshalb können sich nur wenige Bindungen zwischen benachbarten Molekülen ausbilden. Ich habe 4 schwache Bindungen (mattrot) und eine etwas stärkere (rot) gezeichnet. Deren Bindungskräfte reichen gerade aus, dass sich die Moleküle für einen kurzen Moment parallel nebeneinander anordnen, aber bald wieder trennen. Durch solche kurzen Molekültreffen entsteht in einem großen Bereich eine lockere Ähnlich–Orientierung, die um einen Mittelwert streut.

Haben die Moleküle ein größeres Länge–Breite–Verhältnis (sind also länger), können an mehr Stellen van–der–Waals–Kräfte wirken, und wenn polare oder polarisierbare Stellen vorhanden sind, können auch mehr stärkere Dipol–Wechselwirkungen auftreten. Solche Moleküle sehen Sie im unteren Teil von Bild 16. Diese Moleküle bleiben, sobald sie sich treffen, über wesentlich längere Zeit parallel nebeneinander liegen und bilden Ensembles wie zum Beispiel die Siebener–Ensemble in Bild 15. Gewiss sind solche Ensembles nicht stabil. Die Bindungskräfte sind zu schwach, sie dauerhaft zusammen zu halten, sondern nur eine gewisse Zeit. Dann zerfallen die Ensembles und bilden sich wieder neu, wie beispielhaft in Bild 12 dargestellt. Mesophasen sind sehr dynamische Gebilde, auch wenn bond orientational order vorhanden ist.

Aufrecht oder gekippt ? – In Bild 12 stehen die Ensembles aus Molekülen senkrecht auf der Ebene, die die Schichten trennt. In Bild 15 sind sie gekippt.

Ist das Zufall ?

Dass ich die Moleküle mal so, mal anders gezeichnet habe, mag Zufall sein. Dass sich reale kalamitische Moleküle manchmal senkrecht, in anderen Fällen gekippt zur Schichtenebene anordnen, hat physikalische Gründe.

Lage zweier kalamitischer Moleküle, schematisch

Bild 17 : Kalamitische Moleküle, die Stellen mit positiver (blau) und negativer (rot) Teilladung besitzen. Sie werden sich nicht wie links anordnen, wegen der Abstoßungskräfte, sondern wie rechts. So können sich unterschiedliche Ladungen anziehen.

In Bild 17 betrachte ich 5 Moleküle, die an jeweils 2 Stellen eine positive Teilladung tragen (diese Stellen sind blau gezeichnet) und an 2 anderen Stellen eine negative Teilladung (rot). Würden sich die Moleküle nebeneinander legen, so wie im ersten Teil, würden Stellen mit gleicher Ladung (2 mal positiv, 2 mal negativ) direkt nebeneinander liegen. Es würden Abstoßungskräfte (Coulomb–Kräfte) wirken, die Anrodnung wäre instabil.

Tatsächlich nehmen Moleküle mit einer solchen Ladungsverteilung eine gekippte Lage ein, so wie im rechten Bildteil. Dadurch kommen Stellen mit positiver Ladung direkt neben solche mit negativer Ladung zu liegen, und es wirken Anziehungskräfte. Die Anordnung ist stabil.

Schichtenübergreifend oder nicht ? – In den Bildern 12 und 15 habe ich immer nur eine Molekülschicht gezeichnet. Dehnt sich die bond orientational order nur über eine einzige Schicht aus, oder ist sie schichtenübergreifend ?

Die kristallographischen Achsen (und damit auch die Orientierung der Moleküle) bleiben über viele Schichten gleich. Bond orientational order ist schichtenübergreifend.

Ist es flüssig ? – Bond orientational order ist eine Ordnung der Orientierung, nicht der Position. Tritt in einer Mesophase nur bond orientational order auf (und keine Positionsfernordnung), sind die Schichten gegeneinander verschiebbar, und die betreffende Mesophase ist flüssig. Tritt zusätzlich zur bond orientational order noch Postionsfernordnung auf, wird es anders aussehen.

Infobereich

Alle Bilder dieser Seite : Lizenz CC–BY–SA–4.0. Bildnachweis und Lizenzinfo.
Text : Lizenz CC–BY–SA–4.0. Lizenzinfo.

 

 

Impressum        Datenschutzerklärung