Fußnote 1 : Man nennt diese Fähigkeit die Elektronegativität des Atoms bzw. des Elements. Man kann die Elektronegativität messen und eine Tabelle mit Zahlenwerten aufstellen. Mehr zur Elektronegativität erfahren Sie in Kapitel xx demnächst.
Oft entsteht diese Situation : Zwischen 2 Atomen ist eine kovalente Bindung (Atombindung) vorhanden, jedoch ist bei dem einen der Atome (genau genommen bei einem der positiv geladenen Atomrümpfe, vgl. Kapitel 5.3. Atombindung) die Fähigkeit, die Elektronen der Bindung anzuziehen, stärker als beim anderen (→ Fußnote 1).
Fußnote 1 : Man nennt diese Fähigkeit die Elektronegativität des Atoms bzw. des Elements. Man kann die Elektronegativität messen und eine Tabelle mit Zahlenwerten aufstellen. Mehr zur Elektronegativität erfahren Sie in Kapitel xx demnächst.
Die Konsequenz aus dieser Fähigkeit ist leicht zu verstehen. Wenn das eine Atom die Bindungselektronen stärker anzieht als das andere, ist bei ihm ein größerer Teil davon als beim anderen. Das Atom hat also mehr als die Hälfte der negativen Ladung dieser Elektronen, es ist dadurch selbst ein klein wenig negativ geladen. Man sagt, es trägt eine negative Teilladung. Weil das Molekül als Ganzes elektrisch neutral ist, trägt das andere Atom eine positive Teilladung.
Bild 1 : Polare Bindung
Bild 1 veranschaulicht die Situation. Das Chloratom kann die Bindungselektronen (der rote Klumpen stellt ein Gebiet dar, in dem sie sich häufig aufhalten) stärker anziehen als das Phosphoratom. Sie sammeln sich also in häufiger in seiner Umgebung (der rote Klumpen ist dort dicker), und das Chloratom trägt eine negative Teilladung (in seiner Hälfte ist mehr negative Ladung).
Von außen betrachtet, hat das Ensemble (aus den 2 Atomen und der zwischen ihnen verlaufenden Bindung) einen Pluspol und einen Minuspol. Dinge, die 2 Pole besitzen, heißen Dipol. Die eben beschriebene Bindung ist also ein Dipol. Solche Bindungen nennt man auch polar. Es ist eine polare Bindung.
Auch wenn man die Bindung über längere Zeit betrachtet, ändert sie ihren polaren Charakter nicht. Er bleibt permanent bestehen.
Die Polarität einer Bindung ist ihre Eigenschaft, polar zu sein, das heißt, ein Dipol zu sein. Die Polarität einer Bindung kann stark oder schwach, kaum vorhanden oder deutlich ausgeprägt sein. Atombindungen zwischen verschiedenen Atomen sind immer polar. Ihre Polarität kann sehr gering sein, zum Beispiel zwischen Kohlenstoff und Wasserstoffatomen (CHBindung), aber oft ist sie mittel bis stark oder reicht bis zur Grenze der Ionenbindung.
Die Polarität einer Bindung kann auch fehlen. In diesem Fall haben die beiden Atome der Bindung die gleiche Fähigkeit, Bindungselektronen anzuziehen. Die Bindung heißt dann unpolar. Dieser Fall tritt nur bei Bindungen zwischen Atomen des gleichen Elements auf (zum Beispiel CCBindungen).
Eine polare Bindung, wie in diesem Abschnitt beschrieben, nennt man polare Atombindung. Ausführliche Informationen über die polare Atombindung finden Sie in Kapitel xx demnächst.
2 Beispiele bringen schnell Klarheit.
Bild 2 : Kohlendioxidmolekül, schematisch. Es ist unpolar.
Kohlendioxid (CO2). Im Kohlendioxidmolekül trägt das Kohlenstoffatom eine positive Teilladung, die beiden Sauerstoffatome je eine negative. Bild 2 zeigt eine schematische Darstellung der Wolke aus Bindungselektronen, in der positive Ladungen blau und negative rot gezeichnet sind. Über den Ort der positiven Teilladung gibt es wenig zu sagen; er ist am Ort des Kohlenstoffatoms.
Bei den negativen Teilladungen ist es etwas komplexer. Man sucht nach einer einzigen Ladung (ich nenne sie für einen Moment Ersatzladung), die dieselbe Wirkung entfaltet wie die beiden getrennten Ladungen. Wo wäre diese Ersatzladung ? Natürlich genau zwischen den beiden realen gleichgroßen negativen Teilladungen. Und das ist genau der Ort der positiven Teilladung.
Als Ergebnis erhält man, dass im Kohlendioxidmolekül der Ort der positiven Teilladung mit dem Schwerpunkt der negativen Teilladungen zusammenfällt (identisch ist). Das Molekül hat weder Plus noch Minuspol. Es ist kein Dipol, also unpolar.
Bild 3 : Wassermolekül, schematisch. Es ist ein permanenter Dipol.
Wasser (H2O). Ganz anders liegen die Verhältnisse im Wassermolekül (Bild 3).
Das Sauerstoffatom besitzt eine negative Teilladung, und es ist das einzige Atom, das negativ geladen ist. Der Ort der negativen Teilladung ist also am Sauerstoffatom (linkes Kreuz in Bild 3).
Jedes der beiden Wasserstoffatome besitzt eine positive Teilladung. Wie im vorigen Beispiel suche ich nach dem Ort einer einzigen Ladung (Ersatzladung), die die gleiche Wirkung wie die beiden getrennten Ladungen hat. Wo ist er ? Ganz klar, genau zwischen den beiden realen Ladungen, dort wo in Bild 3 das rechte Kreuz gezeichnet ist.
Der Ort der negativen Teilladung ist also ein anderer als der Schwerpunkt der positiven Teilladungen (Ort der Ersatzladung). Das Molekül hat einen Pluspol und einen Minuspol. Es ist ein Dipol. Da dieser Dipol bestehen bleibt, auch wenn man das Molekül über längere Zeit betrachtet, ist es ein permanenter Dipol.
Die Moleküle von Stoff X sind Dipole / permanente Dipole. Die Moleküle von Stoff X besitzen Dipolcharakter. Die Moleküle von Stoff X sind wenig / stark polar. Die Moleküle von Stoff X besitzen eine niedrige / mittlere / hohe / starke Polarität. All diese Formulierungen besagen dasselbe.
Manchmal sagt man auch, Stoff X ist polar / hat eine starke Polarität / hat Dipolcharakter. Das ist zwar nicht exakt, wird aber doch häufig so gemacht. Naja.
Wenn an anderen Stellen des Projekts Die Struktur der Stoffe von Polarität die Rede ist, ist entweder gemeint, dass eine polare Bindung (Kapitel 5.5.1. oben auf dieser Seite) vorliegt, oder dass ein Molekül ein permanenter Dipol ist.
In diesem Abschnitt habe ich über Moleküle geschrieben, die Dipole sind oder auch nicht. Wenn sie aber ein Dipol sind, dann bleiben sie, auch wenn man sie über lange Zeit betrachtet, ein Dipol. Ihr Dipolcharakter ist zeitlich unveränderlich. Deshalb nennt man sie permanente Dipole.
In Kapitel 5.8. (Induzierte Dipole) und in Kapitel 5.9. (Temporäre Dipole) werde ich über Moleküle schreiben, die keine permanenten Dipole sind.
Zum Abschluss will ich noch ein polares und ein unpolares Moleküel vorstellen. Sie können dabei sehen, wie Polarität entsteht, oder auch nicht.
Bild 4 : Molekül von Tetrachlormethan (CCl4). Es ist unpolar.
Tetrachlormethan (CCl4). Im TetrachlormethanMolekül ist ein Kohlenstoffatom von 4 Chloratomen umgeben. Es hat die Form eines Tetraeders. An seinen 4 Ecken befinden sich die Chloratome, und im Zentrum (Schwerpunkt) des Tetraeders ist das Kohlenstoffatom (Bild 4).
Da Chlor eine viel höhere Elektronegativität als Kohlenstoff hat, sind alle 4 Bindungen (vom Kohlenstoff zu den Chloratomen) polar. Die Chloratome tragen eine negative Teilladung, das Kohlenstoffatom die ausgleichende positive Teilladung. Da die Teilladung bei allen 4 Chloratomen gleichgroß ist, ist der Schwerpunkt der negativen Teilladungen genau im Zentrum (Schwerpunkt) des Tetraeders. Und an dieser Stelle sitzt das Kohlenstoffatom mit seiner positiven Teilladung.
Der Ort der positiven Teilladung und der Schwerpunkt der negativen ist gleich, und das TetrachlormethanMolekül ist nicht polar.
Vielleicht sagen Sie jetzt, der Grund für die fehlende Polarität ist die Symmetrie des Moleküls. Einerseits ist das richtig, denn vollkommen unsymmetrische Moleküle sind immer polar, aber andererseits hat Symmetrie nicht automatisch unpolare Moleküle zur Folge. Sehen Sie sich das nächste Beispiel an.
Bild 5 : Molekül von Ammoniak (NH3). Es ist polar.
Ammoniak (NH3). Im AmmoniakMolekül ist ein Stickstoffatom an 3 Wasserstoffatome gebunden. Das Molekül hat die Form einer flachen dreiseitgen Pyramide. An der Pyramidenspitze befindet sich das Stickstoffatom, und an den Ecken des gleichseitgen Dreiecks, das die Pyramidenbasis bildet, sind die Wasserstoffatome.
Da Stickstoff eine höhere Elektronegativität als Wasserstoff hat, sind alle 3 Bindungen polar. Die Wasserstoffatome tragen eine positive Teilladung, das Stickstoffatom die ausgleichende negative Teilladung. Da die Teilladung bei allen 3 Wasserstoffatomen gleich groß ist, ist der Schwerpunkt der positiven Teilladungen genau im Zentrum des Dreiecks, das die Pyramidenbasis bildet.
Sehen Sie sich die Situation in Bild 5 an. Das Stickstoffatom (Ort der negativen Teilladung, blau gezeichnet), die 3 Wasserstoffatome (weiß) und das PyramidenbasisDreieck (grün) sind schnell identifiziert. Doch was bedeutet die kleine rote Kugel mitten im Dreieck ? Es ist der Schwerpunkt der positiven Teilladungen, und er ist an einem anderen Ort als die negative Teilladung. Also ist das AmmoniakMolekül polar.
Sie sehen in Bild 5, dass das AmmoniakMolekül symmetrisch ist. Es besitzt eine dreizählige Drehachse. Trotzdem ist es polar. Symmetrie allein ist kein Argument für oder gegen Polarität, nur die Schwerpunkte der Ladungen zählen.
Im Schwefeldioxid (SO2) liegen SO2Moleküle vor (L270). Jedes ist ein permanenter Dipol. Der Grund ist, dass polare Atombindungen vorliegen und dass die Schwerpunkte der positiven und der negativen Teilladung nicht zusammenfallen. Mehr Informationen zu diesen Begriffen finden Sie im vorigen Abschnitt (Kapitel 5.5. Polare Moleküle).
Treffen 2 SchwefeldioxidMoleküle zusammen, wirken zwischen dem Schwefelatom des einen und einem Sauerstoffatom des anderen elektrostatische Kräfte (CoulombKräfte). Diese CoulombKräfte sind aus 2 Gründen nur schwach. Einmal wirken sie nur zwischen Teilladungen. Zum anderen sind die Atome benachbarter Moleküle relativ weit voneinander entfernt (im Vergleich zu Atomen des gleichen Moleküls), und die CoulombKraft nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab.
Fußnote 2 : Die KeesomKräfte sind nach dem niederländischen Physiker Willem Hendrik Keesom (1876 1956) benannt, der sie mathematisch beschrieb.
Diese schwachen CoulombKräfte nennt man Dipolkräfte, DipolDipolWechselwirkungen oder KeesomKräfte (→ Fußnote 2).
Fußnote 2 : Die KeesomKräfte sind nach dem niederländischen Physiker Willem Hendrik Keesom (1876 1956) benannt, der sie mathematisch beschrieb.
Bild 6 zeigt einen winzigen Ausschnitt aus einem Kristall von festem Schwefeldioxid. Die Dipolkräfte, die zwischen den 3 Molekülen wirken, sind durch orangefarbige Striche symbolisiert.
Bild 6 : Zwischen den 3 SchwefeldioxidMolekülen wirken Dipolkräfte. Sie sind durch dünne orangefarbige Striche symbolisiert. Daten aus L270. Bildnachweis.
Grundlage des Modells der Dipolkräfte ist das Modell der polaren Atombindung. Die polare Atombindung kann man mit dem Orbitalmodell beschreiben (nicht in diesem Projekt). Dann kann man auch die Dipolkräfte mit demselben Modell erklären, wie es Keesom gemacht hat.
Hier habe ich die polare Atombindung mit einem einfachen elektrostatischen Modell erklärt (Kapitel 5.5.1. und Kapitel xx demnächst).
So kann ich ein sehr einfaches Modell der Dipolkräfte benutzen. Zwischen positiven und negativen Teilladungen, die sich meist an Atomen benachbarter Moleküle befinden, wirken elektrostatische Anziehungskräfte.
Später werde ich Stoffe vorstellen, bei denen die Ladungen entweder nicht an Atomen lokalisiert sind (sondern über einen Bereich verteilt), oder bei denen sie nicht zwischen benachbarten Molekülen wirken (sondern im selben), oder bei denen gar keine Moleküle vorliegen (sondern zum Beispiel Ionenkristalle).
Schwefel hat eine Elektronegativität von 2,58, Sauerstoff von 3,44. Aus der Differenz von 0,86 errechnet man einen Ionenbindungsanteil von knapp 20 %. Im Schwefeldioxid liegt also eine polare Atombindung vor. Ihre Polarität ist weder stark noch schwach, sondern mittelmäßig.
Am Sauerstoffatom liegt eine Teilladung von etwa einem Viertel einer Elementarladung vor, am Schwefelatom (da 2 negative Teilladungen ausgeglichen werden müssen) eine von etwa einer halben Elementarladung.
Die Entfernung von einem Schwefelatom zu einem Sauerstoffatom im Nachbarmolekül beträgt 310 pm. Das ist mehr als das Doppelte der Bindungslänge (also dem Abstand Schwefel Sauerstoff im Molekül) von 143 pm. Die Ladungs und Längenagaben sind in Bild 6 notiert.
Die Dipolkräfte sind proportional den Ladungen und umgekehrt proportional zum Quadrat der Abstände der Ladungen. Im Schwefeldioxid sind sie also recht schwach.
Mit diesem Modell kann man die Eigenschaften des Schwefeldioxids erklären. Es hat einen niedrigen (aber nicht extrem niedrigen) Schmelz und Siedepunkt und ist elektrisch nicht leitfähig. Mehr Daten zu Schwefeldioxid finden Sie im Steckbrief.
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Steckbrief Schwefeldioxid | |
Summenformel | SO2 |
Schmelzpunkt | 75,5 °C |
Siedepunkt | 10,05 °C |
Dichte | |
fest, am Schmelzpunkt | 1,46 g/cm3 |
flüssig, am Siedepunkt | 1,458 g/cm3 |
gasförmig, am Siedepunkt, 1013 mbar | 3,049 g/l |
gasförmig, bei 15 °C, 1013 mbar | 2,77 g/l |
Kritische Temperatur | 157,6 °C |
Kritischer Druck | 7,884 MPa (78,84 bar) |
Kritisches molares Volumen | 122 cm3/mol |
Aussehen | farblos |
Geruch | stechend |
CASNr. | 7446095 |
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Fußnote 3 : Jedes Wassermolekül ist sogar ein permanenter Dipol. Mehr Informationen zu diesem Begriff finden Sie in Kapitel 5.5. (Permanente Dipole).
Im Wasser (H2O) liegen H2OMoleküle vor. Innerhalb dieser Moleküle sind Atombindungen vorhanden. Zwischen den Wassermolekülen wirken andere Kräfte. Jedes Wassermolekül ist ein Dipol (→ Fußnote 3), es ist also an einem Ende ein wenig positiv geladen, am anderen ein wenig negativ. Zwischen der positiven Stelle eines Wassermoleküls und der negativ geladenen Stelle eines anderen Wassermoleküls wirken (wieder einmal) CoulombKräfte. Die entstehenden Bindungen heißen Wasserstoffbrückenbindungen.
Fußnote 3 : Jedes Wassermolekül ist sogar ein permanenter Dipol. Mehr Informationen zu diesem Begriff finden Sie in Kapitel 5.5. (Permanente Dipole).
Bild 7 : 2 Wassermoleküle ziehen sich an. Beide sind polar. Zwischen einem HAtom des einen (positive Teilladung, blau gezeichnet) und dem OAtom des anderen (negative Teilladung, rot gezeichnet) wirken elektrostatische Kräfte.
Bild 7 zeigt, wie sich 2 Wassermoleküle anordnen. Eine der beiden Stellen im ersten Molekül, die eine positive Teilladung trägt (am Wasserstoffatom), liegt in der Nähe der Stelle mit der negativen Teilladung im zweiten Molekül (also am Sauerstoffatom).
Erinnert Sie die Beschreibung der Wasserstoffbrückenbindung an die Dipolkräfte aus dem vorigen Abschnitt ?
Das wäre nicht erstaunlich, denn die beiden Beschreibungen sind sehr ähnlich. Der Grund ist, dass die beiden Bindungsarten sehr ähnlich sind.
Wirkprinzip. Das Wirkprinzip der Dipolkräfte und der Wasserstoffbrückenbindungen ist dasselbe. Es sind die elektrostatischen Anziehungskräfte (CoulombKräfte) zwischen positiven und negativen Teilladungen zweier benachbarter Moleküle.
Stärke. Dipolkräfte sind schwach. Ihre Bindungsenergie liegt zwischen 5 kJ/mol und 10 kJ/mol. Die Wasserstoffbrückenbindung ist mäßig stark. Ihre Bindungsenergie liegt zwischen 10 kJ/mol und 100 kJ/mol.
Gründe für die unterschiedliche Stärke. Der erste Grund ist die für ein Nichtmetall doch recht niedrige Elektronegativität des Wasserstoffs. Sie beträgt nur 2,20. Zu den meisten Bindungspartnern des Wasserstoffs (zum Beispiel C, N, O, P, S) liegt damit eine recht hohe Differenz der Elektronegativitäten vor, und es resultieren recht stark polare Bindungen. Die Moleküle sind also starke Dipole, und die Anziehungskräfte zwischen den stark ausgeprägten Teilladungen sind eher groß.
Im Gegensatz dazu beträgt die Differenz der Elektronegativitäten von Sauerstoff und Schwefel nur 1,06. Die SauerstoffSchwefelBindung ist daher nur schwach polar, und die Anziehungskräfte zwischen 2 Schwefeldioxidmolekülen sind wegen der nur geringen Teilladungen auch nur schwach. Für alle anderen Moleküle, zwischen denen Dipolkräfte wirken, gilt dasselbe.
Der zweite Grund ist die geringe Größe des Wasserstoffatoms. Der Abstand zum Nachbarmolekül ist daher klein, die Wasserstoffbrückenbindungen sind kurz und daher stärker als Dipolkräfte.
Konsequenzen der unterschiedlichen Stärke. Es sieht so aus, als hätte ich eben nur einen kleinen, quantitativen Unterschied mit graduellen, marginalen Auswirkungen beschrieben. So ist es aber nicht. Der scheinbar unbedeutende Unterschied bewirkt umfassende Änderungen im Verhalten.
Stoffe, die eine Wasserstoffbrückenbindung besitzen, haben deutlich andere Eigenschaften und zeigen andere Reaktionen als solche, bei denen nur Dipolkräfte wirken.
Zu diesen Eigenschaften gehören Schmelz und Siedepunkt, Viskosität (Kapitel 15), Adhäsions und Kohäsionskräfte, Oberflächenspannung und Dichte.
Die wichtigste Reaktion ist die Bildung großer Cluster (Zusammenballungen) von organischen Molekülen. Die Cluster sind aber nicht allzu fest gebunden und können schon bei Raumtemperatur leicht gespalten und wieder neu gebildet werden. Viele Vorgänge des Stoffwechsels von Lebewesen beruhen auf dieser Eigenschaft der Wasserstoffbrückenbindungen.
Wasserstoffbrückenbindung :
gleiches Wirkprinzip wie Dipolkräfte
stärker als Dipolkräfte
Moleküle haben wesentlich andere Eigenschaften
Das natürliche Beispiel zur Wasserstoffbrückenbindung ist Wasser. Ein kleines Molekül, übersichtliche Verhältnisse, schnell erklärt. Kann man so machen, muss aber nicht.
Ich werde Essigsäure präsentieren.
Bild 8 : EssigsäureMolekül. Erklärung der farbigen Kreise im Text.
Bild 8 zeigt die Strukturformel von Essigsäure. Alle Atome sind entsprechend ihrer Ladung farbig hinterlegt. Kohlenstoff hat eine Elektronegativität von 2,55, Wasserstoff von 2,20. Die CHBindungen sind also so gut wie überhaupt nicht polar, die 4 Atome der Methylgruppe sind praktisch neutral und grau hinterlegt.
Sauerstoff hat eine Elektronegativität von 3,44. Alle von Sauerstoffatomen ausgehenden Bindungen sind also polar. Alle Sauerstoffatome tragen eine negative Teilladung und sind rot hinterlegt. Alle Nachbarn von Sauerstoffatomen besitzen eine positive Teilladung und sind blau hinterlegt.
Was passiert, wenn sich 2 Essigsäuremoleküle treffen ? Bild 9 zeigt es. Positive und negative Teilladungen ziehen sich an, und es bilden sich Einheiten aus 2 Molekülen Essigsäure. Solche Einheiten nennt man Dimere. Essigsäure bildet sowohl im festen als auch im flüssigen Zustand Dimere.
Bild 9 : 2 EssigsäureMoleküle bilden ein Dimer. Die beiden Moleküle werden durch Wasserstoffbrückenbindungen zusammengehalten.
Die Dimeren sind auch im flüssigen Zustand relativ stabil, und Essigsäure zeigt viele Eigenschaften eines Stoffes, dessen Moleküle doppelt so groß sind wie ein einzelnes Essigsäuremolekül (→ Fußnote 4). Schmelz und Siedepunkt sind relativ hoch, und die Viskosität von Essigsäure ist etwa 5 mal so groß ist wie die von Diethylether, obwohl deren Moleküle eine geringere Masse haben (vgl. dazu Kapitel 10.5. Zahlenwerte für die Viskoität, einschließlich der Tabellen dort).
Fußnote 4 : Über den Einfluss der Molekülmasse auf die Eigenschaften eines Stoffes erfahren Sie mehr in den Kapiteln über den Siedepunkt (Kapitel 13) und die Viskosität (Kapitel 10.2. Einflussgrößen für die Viskosität und Kapitel 10.5. Zahlenwerte).
Mehr Daten zu Essigsäure finden Sie im Steckbrief.
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Steckbrief Essigsäure | |
Summenformel | C2H4O2 |
Schmelzpunkt | 16,6 °C |
Siedepunkt | 117,9 °C |
Dichte bei 20 °C | 1,05 g/cm3 |
dynamische Viskosität | 1,22 ⋅ 103 N s / m2 |
Aussehen | farblos |
Geruch | stechend |
Geruchsschwelle | 1 5 ppm |
CASNr. | 64197 |
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In Kapitel 5.5. habe ich über permanente Dipole geschrieben, und ich habe Wert darauf gelegt, diese Dipole als permanent zu bezeichnen. Es muss also noch andere Arten von Dipolen gegen, die nicht permanent sind.
Eine davon stelle ich in diesem Abschnitt vor. Eine weitere Art nichtpermanenter Dipole folgt im nächsten Abschnitt (Kapitel 5.9. Temporäre Dipole und Dispersionskräfte).
Was passiert, wenn ein Ion und ein elektrisch neutrales Teilchen (Atom, Molekül) zusammen treffen ? Sehen Sie sich dazu Bild 10 an. Im oberen Teil sind die beiden Teilchen, bevor sie in Wechselwirkung treten. Als Ion habe ich ein positiv geladenes Ion gewählt, das ich blau gezeichnet habe. Das neutrale Teilchen habe ich grau gezeichnet.
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oben : noch keine Wechselwirkung unten : Wechselwirkung ist eingetreten |
Bild 10 : So entsteht ein induzierter Dipol. Ein positiv geladenes Ion (blau gezeichnet) tritt in Wechselwirkung mit einem neutralen Teilchen (grau). Die Elektronen der Hülle des neutralen Teilchens halten sich aufgrund der CoulombKräfte öfter nah beim Ion auf, seltener weit von ihm entfernt. Die Ladung in der Elektronenhülle ist nun ungleichmäßig verteilt, das neutrale Teilchen ist zum Dipol geworden. |
Wechselwirkung. Wie kann eine Wechselwirkung zwischen einem positiv geladenen und einem neutralen Teilchen aussehen ? Stellt man sich die kleinsten Teilchen wie Tennisbälle vor, fällt dazu niemand etwas ein. Ein neutraler und ein geladener Tennisball haben ja keine Wechselwirkung. Atome und Moleküle sind aber keine Tennisbälle.
Das neutrale Atom besitzt in seiner Hülle negativ geladene Elektronen, und für das Molekül gilt Analoges. Zwischen diesen Elektronen und dem positiv geladenen Ion wirken elektrostatische Anziehungskräfte (CoulombKräfte). Als Resultat werden sich die Elektronen in der Hülle des neutralen Teilchens öfter in der Nähe des Ions aufhalten. Genauer : Sie weren sich öfter in der dem Ion zugewandten Seite aufhalten, und seltener in der abgewandten. Die eine Seite hat also (über einen längeren Zeitraum betrachtet) eine kleine negative Teilladung, die andere eine genauso kleine positive Teilladung. Das eben noch neutrale Teilchen ist zum Dipol geworden.
Ein Begriff. Es war das Ion, das bewirkt hat, dass ein anderes Teilchen zum Dipol geworden ist. Man sagt, das Ion hat den Dipolcharakter des anderen Teilchen induziert. Das vorher neutrale Teilchen ist zu einem induzierten Dipol geworden.
Ein induzierter Dipol ist ein kleinstes Teilchen, das durch Einwirkung eines positiv oder negativ geladenen anderen Teilchen selbst zum Dipol geworden ist.
Bleibt der induzierte Dipol ein Dipol ? Ja, solange das Ion in seiner Nähe ist, denn solange kann die oben beschriebene Wechselwirkung eintreten. Nein, sobald das Ion sich entfernt hat.
Die Überschrift hört sich weit und groß an, und natürlich kann der folgende winzige Abschnitt keine umfassenden Aussagen zu diesem riesigen Thema machen. Nicht einmal das ganze Projekt könnte das. Einen kleinen Spalt können wir aber eine Tür öffnen, und einen kurzen, flüchtigen Blick in den großen, gut gefüllten Raum dahinter werfen.
Ion oder auch etwas anderes ? Im vorigen Abschnitt war es ein Ion, das in Wechselwirkung getreten ist. Muss das so sein ? Natürlich nicht.
Induzierte Dipole können nicht nur durch Einwirkung eines Ions entstehen, sondern überhaupt durch Einwirkung elektrischer Felder. Und jede Ladung erzeugt ein elektrisches Feld. Induzierte Dipole können also entstehen, wenn Ladungen oder elektrische Felder auf ein kleinstes Teilchen einwirken.
Im nächsten Abschnitt (Kapitel 5.9. Dispersionskräfte) werden Sie eine Möglichkeit kennen lernen, wie Ladungen scheinbar aus dem Nichts entstehen und dann in Wechselwirkung mit anderen Teilchen treten. Sie werden verstehen, wie diese erstaunliche Erscheinung die Grundlage für das Verhalten vieler (vielleicht sogar aller) Stoffe ist, und Sie werden oft erklären können, warum ein Stoff eine bestimmte Struktur annimmt. Um ehrlich zu sein, der Hauptzweck dieses Abschnitts ist es, auf den nächsten vorzubereiten.
Neutrales Teilchen oder auch etwas anderes ? Im vorigen Abschnitt ist das Ion immer in Wechselwirkung mit einem neutralen Teilchen getreten. Muss das so sein ? Natürlich nicht.
Das Ion (oder, entsprechend dem vorigen Abschnitt, die Ladung) kann genauso gut auf ein anderes Ion oder ein Molekül treffen. Trifft es auf ein Molekül, kann es dieses an einer eher unpolaren Stelle treffen, oder es kann auf einen Bereich treffen, in dem Atome mit einer Teilladung vorhanden sind.
Sicher wird das Ion oder die Ladung mit dem wechselwirken, woaruf es trifft. Wird dann dasselbe passieren wie bei neutralen Teilchen ? Warum nicht ? Der neutrale Charakter des Teilchens hat in der gesamten Argumentation keine Rolle gespielt, nur die Elektronenhülle.
Es werden elektrostatische Kräfte (CoulombKräfte) wirken. Trifft zum Beispiel eine positive Ladung auf ein Gebiet mit einer negativen Ladung oder Teilladung, werden es Anziehungskräfte sein. Sie werden bewirken, dass sich die Elektronen des beeinflussten Elements häufiger in der Nähe der positiven Ladung aufhalten. Die Verteilung der Elektronen wird sich dort ändern, nicht mehr. Ionen werden Ionen bleiben, Moleküle werden Moleküle bleiben.
Nur andere Ladungsverteilung oder mehr ? Bild 10 suggeriert, dass Atome und Ionen kugelförmige Gebiete mit einer festen Grenze einnehmen. Aber schon in Kapitel 3.7.2. (Modelle aus der Chemie) haben Sie gehört, dass das nicht so ist. Die Gebiete haben keine feste Grenze, und auch nicht unbedingt eine Kugelform.
Trifft zum Beispiel ein Ion auf ein neutrales Teilchen, wie in Bild 10, so werden sich die Elektronen nicht nur innerhalb der gezeichneten Kugelschale bewegen. Die Elektronen auf der dem Ion zugewandten Seite werden sich überhaupt zum Ion hin bewegen. Die Elektronen auf der abgewandten werden das wegen der viel größeren Entfernung nur in ganz geringem Maß tun.
Nicht nur die Ladungsverteilung wird sich ändern, sondern die Form der Ladungswolke. Das neutrale Teilchen als Ganzes wird sich verformen. Es wird einem Ellipsoid oder einem Ei ähnlicher sehen als einer Kugel. Bild 11 zeigt die Situation.
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oben : noch keine Wechselwirkung unten : Wechselwirkung ist eingetreten |
Bild 11 : Realistischere Beschreibung der Entstehung eines induzierten Dipols. Ein positiv geladenes Ion (blau gezeichnet) tritt in Wechselwirkung mit einem neutralen Teilchen (grau). Die Elektronen der Hülle des neutralen Teilchens halten sich aufgrund der CoulombKräfte öfter nah beim Ion auf, seltener weit von ihm entfernt. Das neutrale Teilchen wird zum Dipol, und es verformt sich zum Ellipsoid. |
Nur in eine Richtung oder auch anders ? In Bild 10 haben Sie ein Ion gesehen, dass auf ein anderes Teilchen einwirkt. Ist diese Wirkung eine Einbahnstraße ? Natürlich nicht. Auch das neutrale Teilchen, dass zum induzierten Dipol geworden ist, wirkt auf das Ion ein. Ich will mich nicht in Details über die Art der Rückwirkung verlieren, sondern nur diese Tatsache feststellen.
Deshalb habe ich immer von Wechselwirkung gesprochen.
Alles mit allem. Wenn ein elektrisches Feld auf ein Atom, Ion oder Molekül trifft, wird es immer eine Wechselwirkung geben.
Weil jedes Atom, Ion oder Molekül selbst elektrische Felder erzeugt, wird es mit jedem anderen Teilchen in Wechselwirkung stehen.
Jedes Atom, Ion oder Molekül steht mit jedem anderen Atom, Ion oder Molekül in Wechselwirkung.
Das ist nicht neu.
In den vorigen Abschnitten habe ich das Phänomen des induzierten Dipols global und qualitativ beschrieben.
Ist diese Wechselwirkung immer gleich stark ? Oder gibt es Ionen, die eine besonders starke Wirkung auf andere Teilchen ausüben, mit denen sie zusammen treffen ? Und gibt es kleinste Teilchen, die sich von vorbeikommenden Ionen besonders leicht beeinflussen lassen und stärker als andere auf diese Ionen reagieren ? 3 Fragen, 3 Antworten : Nein. Ja. Ja.
Die Wechselwirkung zwischen kleinsten Teilchen, die zur Bildung induzierter Dipole führt, ist unterschedlich stark.
An dieser Stelle ist es sinnvoll, zwei Dinge zu tun.
Erstens sollte man dem, worüber man hier spricht, einen Namen geben. Er macht die Kommunikation einfacher.
Zweitens sollte man darüber nachdenken, wovon diese unterschiedliche Stärke der Wechselwirkung abhängt, und zu jeder Ursache eine Begründung ihrer Wirkung geben.
Definition des Begriffs Polarisierbarkeit. Die Polarisierbarkeit eines kleinsten Teilchens (Atom, Ion, Molekül) ist seine Fähigkeit, aufgrund äußerer Einwirkung von Ladungen die Verteilung der Elektronen in seiner Elektronenwolke zu ändern und die Elektronenwolke selbst zu verformen.
Man kann die Polarisierbarkeit zahlenmäßig beschreiben. Für die Zwecke dieses Projekts reicht aber eine qualitative Beschreibung mit Worten wie hoch niedrig, stark schwach, größer kleiner und Ähnlichen.
Fußnote 5 : Kasimir Fajans ist ein wahrhaft internationaler Wissenschaftler. Er wurde 1887 in Warschau geboren, das damals zu Russland gehörte. Ethnisch war er Pole. Seine Ausbildung erhielt er im damals wissenschaftlich führenden Deutschland sowie in der Schweiz und Großbritannien. Viele Jahre arbeitete er dann in Deutschland. Da er Jude war, musste er emigrieren. Er lebte und forschte ab 1935 in den USA, wo er 1975 starb.
Kasimir Fajans (→ Fußnote 5) stellte im Jahr 1923 Regeln auf, um die Polarisierbarkeit von Teilchen zu beschreiben. Zu den Vorteilen der Regeln gehören Einfachheit und Verständlichkeit. Man kann gut mit ihnen argumentieren. Als Nachteil wird oft die fehlende Quantifizierbarkeit genannt. Das heißt, sie erlauben keine Berechnungen aber ist das wirklich ein Nachteil ?
Fußnote 5 : Kasimir Fajans ist ein wahrhaft internationaler Wissenschaftler. Er wurde 1887 in Warschau geboren, das damals zu Russland gehörte. Ethnisch war er Pole. Seine Ausbildung erhielt er im damals wissenschaftlich führenden Deutschland sowie in der Schweiz und Großbritannien. Viele Jahre arbeitete er dann in Deutschland. Da er Jude war, musste er emigrieren. Er lebte und forschte ab 1935 in den USA, wo er 1975 starb.
In erster Linie werden die FajansRegeln auf Ionen angewandt. Daher sind in Bild 12 auch Ionen gezeichnet, und im folgenden werde ich von Kationen und Anionen sprechen. Aber natürlich gelten die Regeln analog auch für andere kleinsten Teilchen, zum Beispiel solche mit nur einer Teilladung.
Was fördert ? Was fördert die Polarisierung eines kleinsten Teilchens ? Dabei soll es egal sein, ob es sich um ein neutrales Teilchen handelt, oder um ein Teilchen mit einer Teilladung oder mit einer ganzzahligen Ladung.
Bild 12 : Die FajansRegeln besagen, dass die Größe der in Wechselwirkung tretenden Teilchen Einfluss auf die Polarisierung hat.
Die Kraft, die eine Ladung auf eine andere Ladung ausübt, ist nach dem Coulombschem Gesetz proportional der Größe der Ladungen und umgekehrt proportional dem Quadrat ihres Abstands.
Größe der Ladungen und ihre Entfernungen werden also die wichtigsten Rollen in den FajansRegeln spielen.
Die Regeln. Hier sind die 5 FajansRegeln.
Fußnote 6 : Auch wenn man kein Anion betrachtet, sondern ein Teilchen mit einer negativen Teilladung oder eine Stelle eines Moleküls mit einer solchen, sind doch immer Kernladungen vorhanden, denn alle diese Teilchen enthalten Atome, und es sind immer Atomkerne in der Nähe.
Weiche und harte Teilchen. Nein, hier geht es nicht um die Härte im klassischen Sinn. Man nennt ein geladenes Teilchen weich, wenn es sich leicht polarisieren lässt, oder in anderen Worten, wenn es eine hohe Polarisierbarkeit hat, oder wenn sich seine Elektronenhülle leicht verformen lässt. Große Teilchen mit einer hohen Ladung sind oft weich. Zur Begründung können Sie die FajansRegeln heranziehen.
Als Beispiele für weiche Ionen lassen sich nur Anionen nennen, denn sie sind meist größer als Kationen. Das IodidIon (I) oder das SelenidIon (Se2) sind solche Ionen.
Harte Teilchen lassen sich entsprechend schwer polarisieren. Beispiele sind kleine Ionen der Erdalkalimetalle (Be2+) oder Ionen der Nebengruppenmetalle.
In den vorigen Abschnitten haben Sie 2 Möglichkeiten kennen gelernt, wie sich bei kleinsten Teilchen Dipole bilden können.
Zum einen kann in einer Bindung eines der beiden Atome die Bindungselektronen stärker anziehen als das andere. Es trägt dann eine negative Teilladung, das andere eine positive, und das Ensemble aus den beiden (aneinander gebundenen) Teilchen ist ein Dipol. Da er auf Dauer bestehen bleibt, heißt er permanenter Dipol. Mehr dazu finden Sie in Kapitel 5.5.
Zum anderen kann eine Ladung (zum Beispiel ein geladenes Teilchen) in die Nähe eines neutralen Teilchens kommen. Sie bewirkt eine ungleichmäßige Verteilung der negativ geladenen Elektronen in der Hülle. Das vorher neutrale Teilchen wird zum Dipol. Da der Dipolcharakter von außen in das Teilchen hineingeführt wird, nennt man es nun einen induzierten Dipol. Mehr dazu finden Sie in Kapitel 5.8.
Aber was passiert mit neutralen Teilchen, bei denen gerade keine Ladung vorbeikommt ? Bleiben sie für immer neutral ? Die Natur ist nur selten statisch, meist dynamisch.
Fußnote 7 : Ebenfalls in Kapitel 3.5.8. habe ich auf übliche Ungenauigkeiten bei der Benutzung des Begriffs Orbital hingewiesen.
Temporäre Dipole entstehen aus dem Nichts. Atome besitzen einen Kern und, in der Hülle, Elektronen. Gemäß dem Orbitalmodell (→ Kapitel 3.5.8.) halten sich die Elektronen in Gebieten (innerhalb der Hülle) auf, die man gern Orbitale nennt (→ Fußnote 7). In Kapitel 3.7.2. haben Sie erfahren, dass sich die Elektronen nicht an allen Stellen eines Orbitals gleich häufig aufhalten. Für ein spezielles Orbital habe ich dort (in Bild 7) die Elektronendichte veranschaulicht. Diese Beschreibung ist statisch. Wenn man die Elektronendichte über einen längeren Zeitraum betrachtet, ist sie auch richtig.
Fußnote 7 : Ebenfalls in Kapitel 3.5.8. habe ich auf übliche Ungenauigkeiten bei der Benutzung des Begriffs Orbital hingewiesen.
Bild 13 : Ein anfangs neutrales Teilchen (links, grau) wird ohne äußere Einflüsse kurzzeitig zu einem Dipol.
Das Atom als Ganzes ist immer neutral, aber wenn man es auf einer sehr fein aufgelösten Zeit und Raumskala betrachtet, stellt man fest, dass die Elektronen nicht wie festgewachsen immer am gleichen Platz sind. Sie bewegen sich. Manchmal sind für ganz kurze Zeit an einer bestimmten Stelle Elektronen häufiger als dem zeitlichen Mittel entspricht, und dafür an einer anderen Stelle seltener. Einen winzigen Augenblick später hat sich die Verteilung der Elektronen geändert, und sie sind an einer anderen Stelle mehr konzentriert.
Es bilden sich also immer wieder, ganz von selbst, ohne äußere Einflüsse, kurzzeitig kleine Bereiche, in denen die Elektronendichte höher ist, und andere, in denen sie niedriger ist. Bild 13 zeigt ein anfangs neutrales Teilchen (grau gezeichnet), das zu einem Dipol geworden ist.
Temporäre Dipole sind kurzlebig. Ob der Zustand, wie er im rechten Teil von Bild 13 zu sehen ist, wohl lange so bleibt ?
Bild 14 : Ein temporärer Dipol ändert ständig seine Ladungsverteilung. Rote Bereiche besitzen eine negative, blaue eine positive Teilladung.
Die Elektronen bewegen sich ja weiter, und die negative Teilladung wird dort, wo sie ist, nicht bleiben. Daher nennt man diesen Dipol einen temporären Dipol. Bald wird an einer anderen Stelle eine überdurchschnittliche Elektronenkonzentration entstehen und auch wieder vergehen.
Bild 14 zeigt, was mit dem Atom aus Bild 13 im Lauf der Zeit passieren wird. Die negative Teilladung ist mal hier, mal dort, und es kann auch mal überhaupt keine Teilladung vorhanden sein. Meist ist das Atom ein Dipol, jedoch mit unterschiedlicher Ausrichtung, aber es kann auch mal kurz seinen Dipolcharakter verlieren.
Temporäre Dipole werden mehr. Wir betrachten einen temporären Dipol, der neben einem neutralen Teilchen (Atom oder Molekül) liegt. Wird diese Situation bestehen bleiben, oder wird sich etwas ändern ?
Bild 15 zeigt es. Ich habe dort ellipsoidförmige Teilchen, die für kleine, aus 2 Atomen bestehende Moleküle stehen, zur Illustration benutzt. In Molekülen ist die Situation auch nicht anders als in Atomen. Die Elektronen halten sich in Orbitalen auf (→ Kapitel 3.6.3). Sie bewegen sich dort. Manchmal sind für ganz kurze Zeit an einer bestimmten Stelle Elektronen häufiger als dem zeitlichen Mittel entspricht, und dafür an einer anderen Stelle seltener. Einen winzigen Augenblick später hat sich die Verteilung der Elektronen geändert, und sie sind an einer anderen Stelle mehr konzentriert.
Bild 15 : Oben : Ein temporärer Dipol und Moleküle, die keine Dipole sind. Unten : Der temporäre hat 2 weitere temporäre Dipole induziert.
Im oberen Teil von Bild 15 sind 3 Moleküle, die, zum Beispiel in einem Kristall, nebeneinander liegen. Eines ist ein temporärer Dipol, die anderen beiden sind (noch) neutral. An der rechten Seite des temporären Dipols ist eine positive Teilladung. Diese Stelle wird die Elektronen des Nachbarmoleküls anziehen, und es wird sich dort eine negative Teilladung ausbilden. Nun ist an der rechten Seite des zweiten Moleküls eine positive Teilladung, und sie wird … … Nein, Sie wissen es schon, ich habe es ja gerade erklärt.
Der untere Teil von Bild 15 zeigt den Endzustand. Alle Moleküle sind zu temporären Dipolen geworden. Alle Dipole im Bild zeigen in die gleiche Richtung : links negativ, rechts positiv. Diese Entwicklung musste zwangsläufig so ablaufen. Der Zustand des unteren Bildteils (negative und positive Ladungen, die sich anziehen) hat eine geringere Freie Enthalpie (→ Kapitel 4.1.7.) als der Zustand des oberen Bildteils.
Bild 16 : Oben : Einer der temporären Dipole hat seine Ladungsverteilung geändert. Unten : Alle haben sich wieder synchron ausgerichtet.
Temporäre Dipole sind abhängig. Bild 15 zeigt im unteren Teil 3 temporäre Dipole. Sie sind gleichsinnig ausgerichtet. Bei allen ist die negative Teilladung links im Bild, die positive rechts. Was passiert, wenn einer der 3 seine Ladungsverteilung ändert ? Das tut er ja immer wieder in kurzen Zeitabständen, denn die Ladungsverteilung wird von sich bewegenden Elektronen bewirkt.
Sie sehen es in Bild 16. Im oberen Teil sehen Sie die 3 Dipole, nachdem einer (der mittlere) seine Ladungsverteilung geändert hat. Gleichnamige Ladungen sind nun benachbart. Dieser Zustand ist nicht stabil. Der einfachste Weg, ihn zu stabilisieren, ist, dass sich die anderen beiden dem mittleren anpassen und dieselbe Ladungsverteilung annehmen, so wie im unteren Teil zu sehen.
Tatsächlich erfolgen die Ladungsfluktuationen (zumindest teilweise) synchron (L12, Seite 344).
Fußnote 8 : Die Kräfte sind nicht nach der englischen Hauptstadt benannt, sondern nach dem deutschamerikanischen Physiker Fritz London (1900 1954), der sie erforschte.
Temporäre Dipole entstehen durch Ladungsfluktuationen in Atomen oder Molekülen. Dabei bilden sich kurzzeitig, an zufälligen Orten des Atoms oder Moleküls, positive und negative Teilladungen. Die resultierenden Anziehungskräfte zwischen den Teilchen nennt man Dispersionskräfte oder LondonKräfte (→ Fußnote 8).
Fußnote 8 : Die Kräfte sind nicht nach der englischen Hauptstadt benannt, sondern nach dem deutschamerikanischen Physiker Fritz London (1900 1954), der sie erforschte.
Man kann die Dispersionskräfte mit dem Modell der Quantenmechanik beschreiben, wie es Fritz London gemacht hat.
In diesem Projekt habe ich die Dispersionskräfte mit einem einfachen elektrostatischen Modell erklärt. Für die Wirkung, die sie ausüben, ist es angemessen.
Fußnote 9 : Eine weitere Bedingung ist, dass die Elektronendichte in alle Richtungen des Raumes gleichmäßig abnimmt, so wie bei dem Atom in Bild 7 in Kapitel 3.7.2. Elektronendichte. Diese Bedingung ist in einigen Fällen erfüllt, in anderen nicht.
Dispersionskräfte sind sehr schwach. Es sind die schwächsten unter den in diesem Kapitel beschriebenen Kräfte.
Können solche schwachen Kräfte eigentlich irgend etwas bewirken ? Hat ihr Vorhandensein Auswirkungen auf beobachtbare Phänomene ?
Bild 17 : Durch koordinierte Tätigkeit können Ameisen auch unvorhergesehene Probleme lösen.
Ja.
Ich vergleiche die Dispersionskräfte gern mit Ameisen. Eine einzelne Ameise ist klein und schwach. Sie kann so gut wie gar nichts erreichen. Viele Ameisen dagegen, die koordiniert zusammen arbeiten, können viel erreichen. Sie spielen eine wichtige ökologische Rolle (Auflockerung des Bodens, Verbreitung von Samen, Regulierung anderer Tierarten früher nannte man es Vernichtung von Schädlingen) und erhalten dadurch ein stabiles biologisches Gleichgewicht aufrecht. Bild 17 zeigt Ameisen bei koordinierter Arbeit im Eigeninteresse. Sie hatten eine im Garten liegende, zusammengefaltete Abdeckplane besiedelt. Beim Aufklappen der Plane entstand das Bild. Danach erhielten die Ameisen ausreichend Zeit (einen Tag), um die Larven (die kleinen eiförmigen Gebilde) und die Puppen (die größeren) in unterirdische Kammern zu verlegen. Sie brauchten aber nur gut zwei Stunden.
Genauso kann ein einzelnes Atom durch seine Dispersionskräfte so gut wie nichts bewirken.
Übrigens habe ich bei der gesamten Argumentation in diesem Abschnitt nirgends bestimmte Eigenschaften der Teilchen benutzt. Das heißt, die Dispersionskräfte wirken zwischen allen Teilchen. Sie wirken bei Atomen genauso wie bei Ionen, polaren Molekülen, unpolaren Molekülen, an polaren Stellen von Molekülen genauso wie an unpolaren.
Betrachtet man Dispersionskräfte an einem Ion oder an einer stark polaren Stelle eines Moleküls, so fallen sie gegenüber den Dipolkräften (→ Kapitel 5.6.) oder den Kräften der Ionenbindung (→ Kapitel 5.2.) so gut wie gar nicht ins Gewicht, so wie die Kräfte auch vieler Ameisen gegen die Kraft eines Elefanten nichts sind.
Betrachtet man Dispersionskräfte dagegen im Bereich unpolarer oder nur schwach polarer Bindungen (die meisten CC und CHBindungen gehören dazu), dominieren sie das Geschehen. Das fällt ihnen leicht, denn es sind ja keine anderen Anziehungskräfte vorhanden. Sie bewirken in Ensembles aus vielen aneinander gebundenen Atomen (großen Molekülen also) oder in Ensembles aus vielen Molekülen (zum Beispiel in Kristallen oder Flüssigkeiten) die Anziehung zwischen den Teilchen.
Und so, wie Ameisen immer in großer Zahl auftreten, wirken Dispersionskräfte oft zwischen vielen Teilchen. Die Anziehungskräfte zwischen den vielen Teilchen können also in ihrer Summe erstaunlich groß werden, und genauso die Auswirkungen. Hier spielen die Dispersionskräfte ihre Ameisenrolle aus.
An 2 einfachen und übersichtlichen Beispielen will ich aufzeigen, welche Auswirkungen Dispersionskräfte haben können oder auch nicht.
Es sind Neon und Iod.
Bild 18 : Links ist ein Neonatom (hellgrün gezeichnet), rechts ein Iodmolekül, beide schematisch. Die Größe ist unterschiedlich, die Dispersionskräfte noch unterschiedlicher. Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Ausdehnung des Neonatoms und des Iodmoleküls im Kristall.
Neon. Bild 18 zeigt links ein Neonatom. Es ist relativ klein. Elektronen haben nur wenig Platz, einander aus dem Weg zu gehen. Es werden eher selten temporäre Dipole entstehen, und ihre Ladung wird eher gering sein.
Dazu kommt, dass alle Elektronen zu den inneren Schalen (→ Fußnote 10) gehören. Das heißt nicht nur, dass sie nah am Kern sind, sondern auch, dass sie nicht durch andere Elektronen vom Kern abgeschirmt (→ Kapitel 5.8.3. Polarisierbarkeit) sind. Sie sind relativ fest am Kern gebunden. Dadurch ist ihre Chance noch geringer, sich in größerer Entfernung voneinander aufzuhalten. Die Ladung der temporären Dipole wird nochmals geringer.
Fußnote 10 : Die Beschreibung des Atomaufbaus aus Schalen ist dem Bohrschen Atommodell (→ Kapitel 3.5.6.) entlehnt, aus Gründen der Anschaulichkeit. Aber auch im Orbitalmodell (→ Kapitel 3.5.8.) unterscheidet man Orbitale, die nah am Kern liegen von solchen, die weit vom Kern entfernt sind.
Beim Neon erwartet man also nur ganz schwache Dispersionskräfte. Sie können nur ganz wenig dazu beitragen, Neonatome in einem Kristall zusammen zu halten. Der Neonkristall wird nur bei ganz tiefer Temperatur beständig sein. Der Schmelzpunkt und auch der Siedepunkt von Neon werden sehr niedrig sein.
Iod. Ganz anders ist die Situation im Iod. Rechts in Bild 18 ist ein Iodmolekül gezeigt. Es ist wesentlich größer als das Neonatom. Elektronen haben viel Platz, einander aus dem Weg zu gehen. Das betrifft zum einen die Elektronen, die nur einem der beiden Iodatome zugeordnet werden können, in viel stärkerem Maß aber die beiden Bindungselektronen. Diese Bindungselektronen können einen Abstand von bis zu etwa 700 pm haben, im Vergleich von etwa 300 pm im Neonatom. Der Abstand der Ladungen ist größer, der Dipol ausgeprägter.
Dazu kommt, dass sich ein Teil der Elektronen in äußeren Schalen befindet. Das heißt nicht nur, dass sie weit vom Kern entfernt sind, sondern auch, dass sie durch andere Elektronen (die aus den inneren Schalen) vom Kern abgeschirmt sind. Sie sind eher locker am Kern gebunden. Dadurch ist ihre Chance größer, sich in großer Entfernung voneinander aufzuhalten. Die Ladung der temporären Dipole wird nochmals größer.
Beim Iodmolekül erwartet man also recht starke Dispersionskräfte. Sie können Iodmoleküle im Kristall ganz gut zusammenhalten, auch bei höherer Temperatur. Der Schmelzpunkt von Iod wird relativ hoch liegen.
Vergleichende Daten zu Neon und Iod finden Sie im Steckbrief.
Ein anderer Blickwinkel. Während in den vorigen Absätzen die zwischen den Iodmolekülen wirkenden Kräfte und deren Erklärung mit dem Phänomen der Polarisierbarkeit im Mittelpunkt standen, wird nun der Fokus auf die Zeitskala und die innere Struktur des Iodmoleküls gelegt.
Bild 19 : Das Iodmolekül ist im zeitlichen Mittel kein Dipol.
Bild 20 : Für sehr kurze Zeit bildet sich im Iodmolekül eine unsymmetrische Ladungsverteilung aus. Es wird für einen Moment zum Dipol.
Bild 21 : Die unsymmetrische Ladungsverteilung macht das Nachbarmolekül für kurze Zeit ebenfalls zum Dipol.
Wir unterscheiden zwischen einer Betrachtung der Bindungselektronen im zeitlichen Mittel eines längeren Zeitraums und einer Betrachtung auf einer sehr fein aufgelösten Zeitskala.
Im zeitlichen Mittel ist das Molekül unpolar. Es ist dann kein Dipol. Grund ist, dass sich die Bindungslektronen im zeitlichen Mittel genau zwischen den Iodatomen aufhalten. Bild 19 zeigt ein solches Iodmolekül. Ich habe es grau gezeichnet, um seine Neutralität deutlich zu machen.
Sieht man sich die Situation genauer an, wird klar, dass die Elektronen nicht wie festgewachsen in der Mitte zwischen den beiden Atomen sitzen. Sie bewegen sich in ihrem Orbital. Mal sind sie näher bei dem einen Iodatom, mal bei dem anderen. Für einen sehr kurzen Moment trägt das Iodmolekül also an einem Ende eine kleine negative Teilladung (und später am anderen Ende). In den Bildern 20 und 21 ist sie an der rechten Seite des Moleküls und schwach rot gezeichnet. Was bewirkt diese kurzzeitige Teilladung ? Sie wirkt sich auf das Nachbarmolekül im Kristall aus. Dort, wo es dem ersten Molekül am nächsten kommt, werden die Bindungselektronen abgestoßen (wie das bei gleichnamigen Ladungen so ist), und es bildet sich eine kleine positive Teilladung (blau) aus. Das Nachbarmolekül ist also kurzzeitig zum Dipol geworden. Es ist ein induzierter Dipol, denn Ursache ist die Ladungsverteilung im ersten Molekül. Bild 21 zeigt die Situation.
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Steckbriefe Neon und Iod | ||
Neon | Iod | |
Summenformel | Ne | I2 |
relative Atom/Molekülmasse | 20,18 g/mol | 253,8 g/mol |
Schmelzpunkt | 248,59 °C | 113,7 °C |
Siedepunkt | 246,08 °C | 184,4 °C |
Dichte | ||
fest, bei 20 °C | 4,93 g/cm3 | |
flüssig, am Siedepunkt | 1,207 g/cm3 | |
gasförmig, Standardbedingungen | 0,90 g/l | |
Aussehen | farblos | blauschwarz |
CASNr. | 7440019 | 7553562 |
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Der Begriff der vanderWaalsKraft (sie wurde nach dem niederländischen Physiker Johannes Diderik van der Waals benannt, er lebte von 1837 bis 1923) wird in 2 Bedeutungen gebraucht.
In diesem Projekt benutze ich den Begriff meist so, dass nur die Dispersionskraft (LondonKraft) gemeint ist.
In den vergangenen Abschnitten ging es darum, was die kleinsten Teilchen in einem Festkörper zusammenhält. Wir haben gesehen, dass es immer elektrostatische Kräfte (CoulombKräfte) sind. Da die Teilchen sehr unterschiedlich sein können, wirken die CoulombKräfte in unterschiedlicher Stärke und sind mal gerichtet, mal ungerichtet. Hier eine zusammenfassende Kurzinformation.
Name | Bindungsenergie in kJ/mol |
Richtungsabhängigkeit |
---|---|---|
Ionenbindung | 600 2000 | ungerichtet |
Atombindung | 200 1000 | gerichtet |
Metallbindung | 100 500 | ungerichtet |
Wasserstoffbrückenbindung | 10 100 | gerichtet |
Dipolkräfte (KeesomKräfte) | 5 10 | gerichtet |
Dispersionskräfte (LondonKräfte) | 0,1 6 | gerichtet oder ungerichtet |
Nein.
Bereits in Kapitel 5.9.2. habe ich geschrieben, dass die Dispersionskräfte in jedem Festkörper wirken, also auch in Ionenkristallen, Metallen und allen anderen Festkörpern.
Sie sind aber gegenüber der Ionen, der Metallbindung und allen anderen Bindungen so schwach, dass man sie dort ohne weiteres vernachlässigen kann.
Bild 22 : Gipsstein ist ein Gestein mit dem Hauptbestandteil CalciumsulfatDihydrat (CaSO4 • 2 H2O), oft nur Gips genannt. In den Gipskristallen sind dieselben 4 Arten von Bindungen vorhanden wie im KupfersulfatPentahydratKristall ganz zu Beginn dieses Kapitels. Bildbreite etwa 10 cm.
Ganz zu Beginn dieses Kapitels habe ich einen Kristall von blauem KupfersulfatPentahydrat (CuSO4 • 5 H2O) gezeigt und behauptet, in diesem wären 4 Arten von Bindungen vorhanden.
Nun kann ich sie nennen.
In diesem Kapitel habe ich verschiedene Bindungstypen vorgestellt und zu jedem die Bindungsenergie angegeben. Der Eindruck entsteht : Je stärker die Kräfte sind, die zwischen den kleinsten Teilchen wirken, umso höher ist die Bindungsenergie. Aber stimmt das ?
Fast alle Menschen versuchen, sich so abstrakte Dinge wie eine Bindung konkret vorzustellen, und weil so etwas in Vorlesungen und Lehrbüchern nicht vorkommt, sind die Vorstellungen der Menschen ganz individuell und verschieden.
Oft habe ich ein mechanisches Modell von 2 Atomen angetroffen, die durch eine Art Verbindungsbolzen zusammengehalten werden. Der Bindungsstrich suggeriert ja eine solche Vorstellung, und die käuflichen Atommodelle verstärken sie. Dann denkt man, je stärker der Verbindungsbolzen ist, umso mehr Kraft braucht man, um ihn zu zerbrechen. Wenn er aber gebrochen ist, dann ist die Bindung gelöst. Leider ist diese Vorstellung falsch.
Im folgenden stelle ich ein anderes Modell vor. Ich halte es für besser.
Bild 23 : Ein Gegenstand wird angehoben.
Bild 23 zeigt im linken Teil einen Gegenstand (grün), der auf einer Unterlage ruht. Auf den Gegenstand wirkt eine Kraft. Es ist die Gewichtskraft G, die ihn nach unten zieht. Man kann G leicht berechnen, G = m g. Die Masse m des Gegenstands und die Schwerebeschleunigung g kennt man. Um den Gegenstand von Platz A nach B zu bringen, benötigt man eine Kraft, die größer als G ist. Ist der Gegenstand in B angekommen, interessiert niemanden mehr, wie groß die Kraft G war. Eine andere Größe ist wichtiger.
Fußnote 11 : Diese Aussage ist plakativ, das heißt, alle verstehen, was gemeint ist, aber sie ist ungenau. Systeme können nur einen Teil ihrer Energie in Arbeit umwandeln, und sie können noch andere Dinge mit ihrer Energie tun. Mehr dazu in Kapitel 4.1.3. Energieaustausch.
Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten (→ Fußnote 11). Um den Gegenstand in Bild 23 von A nach B zu bringen, muss Arbeit W geleistet werden. Man kann W leicht berechnen, W = m g h. m und g haben dieselbe Bedeutung wie eben und sind bekannt, ebenso ist die Höhe h bekannt. Die Arbeit wurde nach dem Prinzip Arbeit = Kraft mal Weg berechnet. Wurde der Gegenstand von A nach B gebracht, hat er eine um W höhere Energie (in diesem Fall ist es potentielle Energie). Nur diese höhere Energie bleibt wichtig.
Fußnote 11 : Diese Aussage ist plakativ, das heißt, alle verstehen, was gemeint ist, aber sie ist ungenau. Systeme können nur einen Teil ihrer Energie in Arbeit umwandeln, und sie können noch andere Dinge mit ihrer Energie tun. Mehr dazu in Kapitel 4.1.3. Energieaustausch.
Die Bindungsenergie der Bindung zwischen 2 kleinsten Teilchen A und B ist gleich der Arbeit, die man braucht, um die Teilchen, die in der Bindung den Abstand d haben, in eine unendlich große Entfernung voneinander zu bringen, ohne sie sonst zu verändern. Es ist also nicht damit getan, den Abstand zu verdoppeln oder sonstwie zu vergrößern, denn dann wirken immer noch Anziehungskräfte, wenn auch schwächere. Das heißt, auch dann besteht noch eine, wenn auch schwache, Bindung.
Bild 24 : 2 Ladungen im Abstand d ziehen sich an.
Bild 24 zeigt ein Beispiel einer solchen Bindung. Es ist eine Ionenbindung, aber alles im Folgenden Gesagte gilt auch für alle anderen Bindungsarten.
Das anchauliche Modell, das man sich von einer Bindung und ihrer Energie machen kann, sieht also so aus : Es sind geladene kleinste Teilchen vorhanden. Man benötigt Kraft, um sie voneinander weg zu ziehen. Man leistet Arbeit, um sie voneinander weg zu ziehen.
Die Kraft ist diesmal keine Gegenkraft zur Gewichtskraft wie im mechanischen Beispiel, sondern Gegenkraft zu den elektrostatischen Anziehungskräften (CoulombKräften).
Man kann die Kraft im Prinzip nach dem Gesetz von Coulomb berechnen.
Dabei ist
Die Arbeit könnte man im Prinzip wieder nach dem Grundsatz Arbeit = Kraft mal Weg berechnen.
Jedoch tauchen bei der konkreten Berechnung der beiden Größen mannigfaltige Schwierigkeiten auf (→ Fußnote 12). Daher kann ich hier nur einige Daumenregeln angeben.
Fußnote 12 :
Nur ein Problem will ich hier benennen. Man kennt weder die beteiligten Ladungen noch ihren Ort.
Im Modell der Ionenbindung nimmt man die Ladungen als punktförmig an. Tatsächlich sind sie über das gesamte Ion
verteilt, und sie sind, entsprechend der Form der Orbitale, in denen sie sich befinden, räumlich ungleichmäßig
verteilt.
Bei Atombindungen und polaren Bindungen sind die Elektronen an jedem Ort der (oft komplex
geformten) Orbitale mit einer anderen Wahrscheinlichkeit anzutreffen.
Und man sollte nie (auch nicht in
Ionenbindungen) von ganzzahligen Ladungen
(→ Kapitel 3.7.4.) ausgehen.
Die Bindungsenergie zu berechnen erscheint kaum möglich. Die Bindungsenergie experimentell zu bestimmen ist schwierig. Sie können unter den Stichworten Gitterenergie und BornHaberKreisprozess weiterlesen. Auch im Lehrbuch von Huheey (L12, S. 1155) stehen weiterführende Informationen zu diesem Thema.
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