8.2. Flüssigkristalle

Flüssigkristalle – das Wort hört sich wie ein Widerspruch in sich an.

Vielleicht dachte sich das der österreichische Botaniker Friedrich Reinitzer auch, als er 1888 Cholesterylbenzoat erhitzte und eine seltsame Beobachtung machte. Der Stoff wurde bei 145,5 °C flüssig, war aber trübe. Erst bei weiterem Erhitzen auf 178,5 °C wurde er klar, wie man es von Flüssigkeiten kennt. Nachdem er Fehlerquellen ausgeschlossen hatte (zum Beispiel Verunreinigungen, zu schnelles Erhitzen oder Zersetzung des Stoffes) und auch seine Kollegen den Stoff untersucht hatten, wurde klar, dass er etwas Neues gefunden hatte.

Es ist ein Zustand, der Eigenschaften des kristallinen Feststoffs und gleichzeitig einer Flüssigkeit besitzt. Man nennt diesen Zustand einen Flüssigkristall, eine flüssigkristalline Phase oder eine Mesophase (denn die griechische Vorsilbe meso bedeutet „mitten”).

 
Flüssigkristall
= flüssigkristalline Phase
= Mesophase
 

In den ersten 4 Abschnitten bespreche ich zuerst einige Themen, die für alle Flüssigkristalle, oder zumindest für die meisten, wichtig sind.

In den nächsten Abschnitten erfahren Sie mehr über einzelne Arten von Flüssigkristallen. Dort geht es um deren Struktur und einige Eigenschaften, und Sie lernen für jede Art einige Beispiele kennen. Es sind

8.2.1. Charakterisierung

Man kann alle Flüssigkristalle mit einem einzigen Begriff beschreiben und sie damit von allen anderen Stoffarten unterscheiden. Flüssigkristalle sind anisotrope Flüssigkeiten.

Flüssigkristalle sind nicht formstabil. Das heißt, sie fließen, wie man es von Flüssigkeiten gewohnt ist.

Die meisten Flüssigkeiten (denken sie an Wasser, Ethanol oder Schwefelsäure) sind isotrop (siehe Kapitel xxx – demnächst). Das heißt, ihre Eigenschaften sind nicht richtungsabhängig. Im Gegensatz dazu sind einige Eigenschaften der Flüssigkristalle anisotrop, also richtungsabhängig. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel xxx – demnächst.

Flüssigkristalle sind anisotrope Flüssigkeiten.

Alle flüssigkristallinen Phasen zeigen Orientierungsfernordnung. Diese Ordnung ist unterschiedlich stark ausgeprägt, abhängig vom Stoff und dem Zustand des Systems, zum Beispiel seiner Temperatur. Sie ist nicht so strikt wie bei Kristallen, vielmehr besitzen die einzelnen Moleküle eine wenig voneinander abweichende Ausrichtung. Sie ist auch nicht statisch wie in Kristallen, sondern dynamisch. Das heißt, jedes einzelne Molekül ändert ständig seine Orientierung.

Ein Teil der flüssigkristallinen Phasen zeigt einen gewissen Grad an Positionsfernordnung. Auch diese Ordnung ist abhängig vom Stoff und dem Zustand des Systems, und sie ist in der Regel schwach ausgeprägt.

8.2.2. Arten von Flüssigkristallen

Hier erhalten Sie einen kurzen Überblick über die Arten der Flüssigkristalle, ihre Klassifikation und ihre Namen. In Bild 1 ist er graphisch gezeigt.

Klassifikation der Flüssigkristalle

Bild 1 : Klassifikation der Flüssigkristalle

 

Art der Entstehung.  – Man kann die Flüssigkristalle auf verschiedene Weise einteilen. Eine ist die nach der Art ihrer Entstehung. Thermotrope Flüssigkristalle entstehen durch Erwärmen eines Feststoffes. Es sind, historisch gesehen, die ersten Stoffe, an denen man die Flüssigkristall–Eigenschaft entdeckt hat. Sie sind die wichtigste und am besten untersuchte Klasse von Flüssigkristallen.

Lyotrope Flüssigkristalle entstehen durch Auflösen eines Feststoffes in einem Lösungsmittel. Die Bedeutung dieser Klasse nimmt zu.

Auf dieser Webseite werde ich nur über thermotrope Flüssigkristalle schreiben.

Form der Moleküle.  – Anfangs kannte man als Flüssigkristall–Bildner ausschließlich stabförmige Moleküle, und man glaubte, alle Flüssigkristalle wären aus solchen aufgebaut. Erst 1977 wurde entdeckt, dass sich flüssigkristalline Phasen auch aus scheibenförmigen Molekülen bilden können.

Man unterscheidet diese Molekülformen durch die Bezeichnungen kalamitisch (die stabförmigen) und diskotisch (die scheibenförmigen). Inzwischen ist man noch einen Schritt weiter und kennt auch andere Moleküle, die flüssigkristalline Phasen bilden. Dazu gehören bananenförmige (eigentlich sind es gewinkelte, manchmal heißen sie auch keilförmige) und kegelförmige Moleküle.

Auf dieser Webseite werde ich nur über kalamitische und diskotische Moleküle schreiben.

Organisation der Moleküle.  – Sowohl in gewöhnlichen Flüssigkeiten als auch in Flüssigkristallen beeinflussen sich die Moleküle gegenseitig.

In gewöhnlichen Flüssigkeiten können sich, zum Beispiel durch Wasserstoffbrückenbindungen, van–der–Waals–Kräfte oder vergleichbare Wechselwirkungen Cluster (Zusammenballungen) von Molekülen bilden. Diese Wechselwirkungen sind nur schwach, und so nehmen die Cluster keine bestimmte Richtung im Raum ein, genausowenig wie die Moleküle selbst. Moleküle und Cluster sind nicht richtungsabhängig angeordnet. Eine solche Anordnung heißt isotrop. Daher heißen die gewöhnlichen Flüssigkeiten ab jetzt isotrope Flüssigkeiten.

Im Gegensatz dazu beeinflussen sich die Moleküle der Flüssigkristalle so stark, dass sie, zumindest über weite Strecken, eine ähnliche Orientierung besitzen. In einem, wenn auch begrenzten Rahmen, sind auch bei der Lage (Position) der Moleküle Regelmäßigkeiten zu finden. Diese beiden Phänomene will ich hier nur nennen. Ich werde im Lauf dieses Kapitels die wichtigsten Organisationsformen der Moleküle ausführlich beschreiben, mit Beispielen belegen und begründen, warum sich Moleküle eines bestimmten Stoffes gerade so organisieren, wie sie es tun, und nicht anders.

Kalamitische Moleküle können nematisch, cholesterisch und smektisch organisiert sein. Die smektischen Phasen bilden eine ganze Familie, dazu kommen noch Organisationsformen, die den smektischen ähnlich sind. Diskotische Moleküle können diskotisch nematisch, diskotisch cholesterisch oder diskotisch kolumnar organisiert sein.

Bei den Begriffen diskotisch und kolumnar existiert einige Verwirrung. Als man die ersten flüssigkristallinen Phasen aus scheibenförmigen (diskotischen) Molekülen entdeckte, waren diese immer säulenförmig (kolumnar) organisiert, und man benannte sie mal mit dem einen Begriff, mal mit dem anderen. Erst die Entdeckung nicht kolumnarer, aber doch diskotischer Phasen brachte die Notwendigkeit, sich klar auszudrücken. In diesem Projekt benutze ich den Begriff diskotisch für eine bestimmte Molekülform (scheibenförmig), den Begriff kolumnar für eine bestimmte Organisation der Moleküle (säulenförmig).

Polymere.  – Neben den bisher genannten kleinen Molekülen (darunter versteht man in der Chemie Moleküle mit bis zu einigen Hundert Atomen, vergleiche dazu Kapitel 6) gibt es auch Polymere (Moleküle mit mehreren Tausend bis zu Millionen Atomen), die flüssigkristalline Phasen bilden. Über diese schreibe ich nicht.

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