7.4.13. Der Perowskit–Strukturtyp

Der Perowskit–Strukturtyp ein weit verbreiteter, wichtiger Strukturtyp.

Er ist relativ einfach und übersichtlich aufgebaut, und daher mit nur wenig Mühe gut zu verstehen.

Der Anwendungsreiche

Stoffe, die den Perowskit–Strukturtyp besitzen, haben weit reichende Anwendungen erfahren. Im folgenden werde ich immer wieder auf diese Anwendungen eingehen.

Der Variantenreiche

Es gibt viele Stoffe, die im Perowskit–Strukturtyp kristallisieren. Noch mehr Stoffe gibt es, deren Kristallstruktur vom Perowskit–Typ abweicht, aber aus ihm in systematischer Weise erhalten werden kann.

Ein Teil dieser Kristallstrukturen entsteht aus dem Perowskit–Typ durch regelmäßiges Ersetzen einzelner Ionen der Elementarzelle durch andere Ionen. Dieses Vorgehen beschreibe ich in Kapitel xxx (Überstrukturen).

Der andere Teil entsteht auf andere Weise, und es ist der mit Abstand interessantere Teil. Die hier entstehenden Strukturen sind die für technische Anwendungen gebrauchten. Ich nenne diese Strukturen die Varianten des Perowskit–Typs und schreibe darüber in Kapitel xxx – demnächst.

Das Mineral und der Name

Das Mineral Perowskit besteht aus Calciumtitanat mit der Formel CaTiO3. Da es bereits früh untersucht wurde, benannte man den Strukturtyp nach ihm. Später, als genauere Messungen möglich waren, stellte es sich heraus, dass seine Kristallstruktur geringe Abweichungen vom Perowskit–Typ hat, dass es also eine der Varianten aus dem vorigen Absatz ist.

Im folgenden erkläre ich den Perowskit–Strukturtyp am Strontiumtitanat (SrTiO3), dass diesen Typ wirklich exakt besitzt.

Perowskit oder Perovskit ?

Auf meinen Seiten schreibe ich über den Perowskit–Typ. In anderen Texten können Sie vom Perovskit–Typ lesen.

Sind diese beiden Typen dasselbe ?

Und welche Bezeichnung ist die Richtige ?

Der Strukturtyp, um den es hier geht, wurde nach einem russischen Politiker und Förderer der Wissenschaften benannt. Natürlich wird sein Name mit kyrillischen Schriftzeichen geschrieben. Das sieht dann so aus.

Лев Алексёевич Перовский

Die Frage ist nun, wie wird daraus ein Name, den Menschen, die mit lateinischen Schriftzeichen vertrauter sind als mit kyrillischen, richtig (also so wie ein Russe oder eine Russin es sagen würde) aussprechen können.

Dieser Vorgang heißt Transkription, und sein Ergebnis soll sich an den Kenntnissen der Zielgruppe orientieren. Das heißt, wenn Deutschsprechende den ins Deutsche transkribierten Namen lesen, so wie sie einen deutschen Namen lesen würde, soll er (in etwa) so klingen wie das russische Original.

Перовский

Bild 2 : Der Nachname des Namensgebers, in kyrillischen Zeichen.

Das Problem hier ist das fünfte Zeichen des Nachnamens, das aussieht wie ein lateinsches B, aber keines ist (vgl. Bild 2).

Man spricht dieses kyrillische Zeichen wie ein stimmhaftes w aus, wie in Wetter oder Wein. Man spricht es nicht wie ein v (wie in Vater oder Vogel) aus. Der ins Deutsche transkribierte Name lautet also korrekt (und vollständig) Lew Alexejewitsch Perowski.

Englischsprechende denken anders über dieses Thema. V und w werden dort (nach Meinung des Autors) fast gleich ausgesprochen, und zur Transkription des в wurde das v gewählt. Man erhält (als vollständigen Namen) Lev Alekseyevich Perovski.

Perowskit und Perovskit sind dasselbe. Da sich diese Seiten an Deutschsprechende wenden, nenne ich den Strukturtyp einmal, nämlich hier, Perowskit (engl. Perovskit), und ab jetzt nur noch Perowskit.

7.4.13.1. Allgemeine Formel

Es gibt sehr viele Stoffe, die im Perowskit–Strukturtyp kristallisieren, mit vielen unterschiedlichen Zusammensetzungen und Formeln. Oft will man sich auf diejenigen Metallatome beziehen, die den Strontiumionen in SrTiO3 entsprechen, oder auf die, die den Titanatomen entsprechen.

Für diese Zwecke ist es geschickt, eine allgemeine Formel einzuführen. Hier ist sie.

ABO3 : allgemeine Formel für sauerstoffhaltige Stoffe,
xxxxxxx die im Perowskit–Typ kristallisieren.
ABX3 : allgemeine Formel für alle Stoffe des Perowskit–Typs.

Im Strontiumtitanat (SrTiO3) sind die Strontiumionen auf den A–Positionen und die Titanionen auf den B–Positionen.

7.4.13.2. Zwei Arten der Beschreibung

Ausschnitt des Perowskit-Strukturtyps

Bild 3 : Ausschnitt aus dem Perowskit–Strukturtyp. Der Ausschnitt hat eine Größe von 4 Elementarzellen des Typs EZ1. Mehr Info im Text. Farbcodierung : Strontium, Titan, Sauerstoff.

Bereits in Kapitel 7.1.3.2. hatten Sie erfahren, dass die Wahl einer Elementarzelle nicht eindeutig ist.

Perowskit gehört zu den Strukturtypen, bei denen 2 Arten der Beschreibung, durch 2 verschiedene Elementarzellen, gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Bild 1 zeigt 2 Elementarzellen, von denen jede ein Titanion im Ursprung und ein Strontiumion im Zentrum besitzt. Die Elementarzellen sind kubisch (würfelförmig).

In Bild 3 sehen Sie 4 solcher Elementarzellen, dazu ein paar weitere Atome, und einen orangefarben markierten Würfel. Dieser Würfel ist entstanden, indem ich eine der 4 Elementarzellen um eine halbe Raumdiagonale verschoben habe. Entsprechend den Regeln in Kapitel 7.1.3.2. ist dies wieder eine Elementarzelle. Sie hat im Zentrum ein Titanion und im Ursprung (an der linken unteren vorderen Ecke) ein Strontiumion, und natürlich ist sie auch kubisch.

Die beiden Elementarzellen bekommen (nur für dieses Projekt) die Bezeichnungen EZ1 (die aus Bild 1) und EZ2 (die andere).

 

2 Arten von Elementarzellen für den Perowskit–Typ.
EZ1 :
xxxx Ursprung – Titanion
xxxx Zentrum – Strontiumion.
EZ2 :
xxxx Ursprung – Strontiumion
xxxx Zentrum – Titanion.

 

Ausschnitt des Perowskit-Strukturtyps

Bild 4 : 2 Elementarzellen des Typs EZ2. Farbcodierung : Strontium, Titan, Sauerstoff.

2 Elementarzellen des Typs EZ2 können Sie in Bild 4 sehen. Vergleichen Sie die Bilder 1 und 4. Versuchen Sie zu erkennen, was man in dem einen Bild besser erkennen kann, und was in dem anderen deutlicher wird.

Im weiteren Verlauf des Kapitels werde ich bevorzugt EZ1 wählen, aber, wenn es Vorteile verspricht, auch EZ2.

7.4.13.3. Umgebungen und Packung

In diesem Abschnitt beschreibe ich den Perowskit–Strukturtyp im Detail. Dazu betrachte ich die 3 Ionenarten und ihre Beziehungen zu anderen und gleichen Ionen im Kristall, und ich versuche, Muster zu erkennen. Ich benutze die Elementarzelle vom Typ EZ1 (Bilder 1 und 3) und die dazu äquivalente Elementarzelle vom Typ EZ2 (Bild 4) parallel.

Die Titan–Ionen

Zum Einstieg etwas Einfaches. Bei den Titan–Ionen sind die Verhältnisse, so denke ich, am Übersichtlichsten.

Allein durch Betrachten der Bilder mit den Elementarzellen (EZ1 und EZ2) erhält man eine Menge Einsichten.

Ausschnitt des Perowskit-Strukturtyps

Bild 5 : 6 Sauerstoff–Ionen umgeben ein Titan–Ion oktaedrisch. Farbcodierung : Strontium, Titan, Sauerstoff.

Anordnung. – Die Titan–Ionen besetzen die Ecken des Elementarzellen–Würfels. Man bezeichnet diese würfelförmige Anordnung als kubisch primitiv.

Nachbarn. – Jedes Titan–Ion ist von 8 Strontium–Ionen umgeben. Die 8 Strontium–Ionen bilden einen Würfel, und das Titan–Ion ist in seinem Zentrum.

Näher am Titan–Ion sind die Sauerstoff–Ionen. 6 von ihnen sind die nächsten Nachbarn des Titan–Ions. Der Abstand aller 6 Sauerstoff–Ionen vom Titan–Ion ist gleich, er beträgt die halbe Länge der Kante der Elementarzelle. Die Sauerstoff–Ionen umgeben das Titan–Ion in sehr regelmäßiger Art, sie bilden einen Oktaeder, dessen Zentrum das Titan–Ion besetzt. Das Titan–Ion ist oktaedrisch von 6 Sauerstoff–Ionen umgeben. Bild 5 zeigt eine Elementarzelle (EZ2) mit dem Oktaeder. Diese TiO6–Oktaeder werden uns im weiteren Verlauf noch öfter begegnen.

Die Strontium–Ionen

Anordnung. – Die Strontium–Ionen besetzen die Ecken des Elementarzellen–Würfels (EZ2). Wie schon bei den Titan–Ionen ist ihre Anordnung kubisch primitiv.

Titan–Nachbarn. – Jedes Strontium–Ion ist von 8 Titan–Ionen umgeben. Die 8 Titan–Ionen bilden einen Würfel, und das Strontium–Ion ist in seinem Zentrum.

Bis hierher sind die Beschreibungen der beiden Metallionen sehr ähnlich. Das ist nicht verwunderlich, denn die Positionen der einen Sorte erhält man aus denen der anderen Sorte durch Verschiebung um die halbe Raumdiagonale.

Sauerstoff–Nachbarn. – Die nächsten Nachbarn der Strontium–Ionen sind Sauerstoff–Ionen. Die Entfernung beträgt eine halbe Flächendiagonale, und es sind 12 Sauerstoff–Ionen. Sie sind (in EZ1) an den Mitten der 12 Würfelkanten, die die Elementarzelle bilden. Zwölf Nachbarn ? Sicher haben Sie schon beim Lesen bemerkt, welches Muster hier auf uns zukommt. In den dichtesten Kugelpackungen hat jede Kugel 12 Nachbarn.

Bilden also die Strontium–Ionen eine dichteste Kugelpackung ? Nein, denn ihre Nachbarn sind keine Strontium–Ionen, sondern Sauerstoff–Ionen. Und auch die Sauerstoff–Ionen allein tun das nicht.

Tatsächlich bilden die Strontium– und die Sauerstoff–Ionen gemeinsam eine kubisch–dichteste Kugelpackung.

Ein Einwand. – Geht das überhaupt ? In den Abschnitten über die dichtesten Kugelpackungen (Kapitel 7.3.1. (hexagonal) und Kapitel 7.3.2. (kubisch)) waren doch immer alle Kugeln gleich. Ja, aber diese Gleichheit haben wir nie benutzt oder gebraucht. Alle Argumentationen gelten genauso für Packungen aus unterschiedlichen Kugeln. Und auch die unterschiedlichen Ladungen der Kugeln (Strontium–Ionen positiv, Sauerstoff–Ionen negativ geladen) sind erst mal kein Problem. Vergleichen Sie dazu Kapitel 7.4.1. über das Lückenfüllen. Dort können Sie nachlesen, dass sich in Ionenkristallen die Kugeln der Kugelpackung gar nicht berühren. Aufpassen müssen wir an anderer Stelle, dass uns die Ladungsverteilung nicht doch noch auf die Füße fällt.

Die Sauerstoff–Ionen

Titan–Nachbarn. – Die nächsten Nachbarn der Sauerstoff–Ionen sind 2 Titan–Ionen, jeweils eine halbe Kantenlänge der Elementarzelle entfernt.

Ausschnitt des Perowskit-Strukturtyps

Bild 6 : Ausschnitt aus dem Perowskit–Strukturtyp. Der Ausschnitt hat eine Größe von 4 Elementarzellen des Typs EZ1. Mehr Info im Text. Farbcodierung : Strontium, Titan, Sauerstoff.

Nachbarn in der Kugelpackung. – Die Sauerstoff–Ionen bilden zusammen mit den Strontium–Ionen eine kubisch–dichteste Kugelpackung. In solchen Packungen hat jede Kugel 12 Nachbarn in gleichem Abstand.

Bild 6 zeigt die Nachbarn des (für dieses Bild) zentralen Sauerstoff–Ions – es gehört zu allen 4 Elementarzellen–Würfeln.

2 rote Quadrate haben an den Ecken insgesamt 8 Sauerstoff–Ionen. Die Entfernung zum zentralen Ion beträgt eine halbe Flächendiagonale der Elementarzelle. Im gleichen Abstand zum zentralen Ion sind die 4 Strontium–Ionen des Bildes. Um das Bild übersichtlich zu halten, habe ich keine Ebene hindurch gezeichnet.

Jedes Sauerstoff–Ion ist also von 8 Sauerstoff–Ionen und 4 Strontium–Ionen umgeben.

Die Kugelpackung

Die Strontium– und die Sauerstoff–Ionen bilden gemeinsam eine kubisch–dichteste Kugelpackung. Das ist (vgl. Kapitel 7.3.2.2.) auch eine kubisch flächenzentrierte Kugelpackung. Bild 4 zeigt diese Tatsache deutlich.

In Kapitel 7.3.2. haben Sie erfahren, dass man die kubisch–dichteste Kugelpackung aus Kugelschichten aufbauen kann.

Frage 1 – Wo findet man diese Kugelschichten in den Bildern der Elementarzellen ?

Frage 2 – Die allgemeine Formel für Stoffe des Perowskit–Typs ist ABX3 (oder im hier betrachteten Beispiel SrTiO3. Die A–Ionen (Strontium–Ionen) belegen also ein Viertel der Plätze der Kugelpackung, und bei Betrachtung der Elementarzellen ist sicher klar, dass sie es in regelmäßiger Art tun. Aber wo genau liegen die Strontium–Ionen in den Kugelschichten ? Und hängt die Lage der Strontium–Ionen in einer Schicht von der Lage in der Nachbarschicht ab ?

Ausschnitt des Perowskit-Strukturtyps

Bild 7 : Ausschnitt aus dem Perowskit–Strukturtyp (EZ2) mit einer Ebene, die entlang der Kugelschichten verläuft. Mehr Info im Text. Farbcodierung : Strontium, Titan, Sauerstoff.

Kugelschichten im Würfel. – Bild 16 in Kapitel 7.3.2.2. (kubisch–dichteste Kugelpackung) zeigt, wie der Würfel (Elementarzelle) in den Kugelschichten liegt. Sie sehen dort eine Kugelschicht, in der 3 Ecken der Elementarzelle (dort dunkelblau gefärbt) und 3 Flächenmitten (dort hellgrün) liegen. Die 3 Ecken sind jeweils durch eine Flächendiagonale getrennt, die Flächenmitten liegen (natürlich!) auf diesen.

Finden wir in der Elementarzelle des Perowskit–Typs eine (oder mehrere) Ebenen mit diesen Eigenschaften (Ebene geht durch 3 Ecken, die durch eine Flächendiagonale getrennt sind), haben wir die Kugelschichten gefunden.

Bild 7 zeigt eine solche Ebene (orange gezeichnet). Diese Ebene ist natürlich unendlich groß (das ist in der Mathematik eine Eigenschaft von Ebenen). Der gezeigte Ausschnitt erstreckt sich über die beiden Elementarzellen und enthält 9 Ionen. Gewiss ist er zu klein, um begründete Aussagen zu machen, aber es sieht so aus (und, ohne es haarklein zu beweisen, es ist auch so), dass sich Reihen von Sauerstoff–Ionen abwechseln mit Reihen, in denen sich Strontium– und Sauerstoff–Ionen abwechseln.

Bild 17 in Kapitel 7.3.2.2. zeigt (und auch in Bild 16 desselben Kapitels können Sie es erkennen), dass die Kugelschichten jeweils senkrecht auf einer Raumdiagonalen der Elementarzelle stehen. In Bild 7 habe ich 2 davon eingezeichnet (blau).

Ausschnitt des Perowskit-Strukturtyps

Bild 8 : Kugelschichten im Perowskit–Strukturtyp. Mehr Info im Text. Sauerstoff–Ionen in verschiedenen Rottönen, Strontium violett.

Kugelschichten ohne ihren Würfel. – Um die zweite Frage beantworten zu können, sehen Sie sich Bild 8 an. Im oberen Teil zeigt es eine Kugelschicht, ähnlich der in Bild 7, aber ausgedehnter. Schnell sehen Sie, dass sich Schichten, die nur aus Sauerstoff–Ionen (rot gezeichnet) bestehen, mit Schichten abwechseln, in denen sich Sauerstoff– und Strontium–Ionen (violett) abwechseln. Dieses Abwechseln funktioniert übrigens nicht nur, wenn Sie das Bild zeilenweise (so wie man Text liest) betrachten, sondern auch in 2 andere Richtungen (schräg, nach oben rechts und nach oben links).

Im zweiten Teil der zweiten Frage ging es darum, ob die Lage der Strontium–Ionen in einer Schicht abhängig von der Nachbarschicht ist. Kurz gesagt, die Antwort lauetet ja.

Sehen Sie sich zuerst den mittleren Teil von Bild 8 an. Einmal sehen Sie dort dieselben Kugeln (Ionen) wie im oberen Teil, jedoch verkleinert, damit man besser erkennen kann, was sich hinter dieser Schicht abspielt. Und was finden wir hinter (oder unter) der Anfangsschicht ? Es sollte nicht erstaunen, dass dort genauso eine Schicht ist, mit Reihen aus Sauerstoff–Ionen und Sauerstoff– und Strontium–Ionen. Ich habe die Ionen dieser Schicht dunkler gezeichnet. Klar sein sollte auch, dass diese hintere Schicht gegenüber der Anfangsschicht verschoben ist. In Kapitel 7.3.2.1. (Aufbau der kubisch–dichtesten Kugelpackung) habe ich erklärt, dass eine neue Kugel immer in eine Mulde gelegt wird, die aus 3 Kugeln der vorigen Schicht gebildet wird. Die Strontium–Ionen der hinteren Schicht liegen (man kann auch sagen, sie hängen oder stecken) nun immer in einer Mulde aus 3 Sauerstoff–Ionen der Anfangsschicht.

Wenn Sie den mittleren Teil von Bild 8 genauer betrachten, finden Sie Dreiergruppen aus Sauerstoff–Ionen, zu deren Mulde ein Strontium–Ion (violett) gehört, und andere Dreiergruppen von Sauerstoff–Ionen, zu deren Mulde kein Strontium–Ion gehört. Genauer, hinter den zuletzt genannten Dreiergruppen ist überhaupt kein Ion, und so gesehen ist der Aufbau noch nicht allzu symmetrisch. Aber die kubisch–dichteste Kugelpackung hat ja die Stapelfolge ABCABC… (→ Kapitel 7.3.2.1.).

Wir sollten also noch eine weitere Schicht betrachten. Das geschieht im unteren Teil von Bild 8. Dieser Teil zeigt einmal dieselben Kugeln (Ionen) wie der mittlere Teil. Dazu kommt eine Reihe von 5 Kugeln. Es sind nur fünf, um die Szene übersichtlich zu halten, und man braucht nicht mehr, um sie zu verstehen. Diese 5 neuen Kugeln habe ich heller gezeichnet. Eine (hellviolette) Kugel, die für ein Strontium–Ion steht, liegt genau auf einer der Dreiergruppen von Sauerstoff–Ionen, deren Mulde eben noch unbesetzt war.

Wir haben den Aufbau der Kugelschichten im Perowskit–Typ nun verstanden. Die Strontium–Ionen sind in alle 3 Raumrichtungen symmetrisch verteilt. Nie sind Strontium–Ionen einander benachbart.

Die Titan–Ionen. – Über die Sauerstoff– und die Strontium–Ionen haben Sie nun sicher genug gehört. Haben auch die Titan–Ionen einen Platz in der Kugelpackung ?

Ja, und ich habe ihre Rolle schon erwähnt, jedoch nicht in den Vordergrund gestellt. Sehen Sie sich noch einmal Bild 5 an. 6 Sauerstoff–Ionen umgeben ein Titan–Ion oktaedrisch. Und die Sauerstoff–Ionen sind Teil einer dichtesten Kugelpackung. Das heißt aber, dass die Titan–Ionen in den Oktaederlücken der Kugelpackung liegen.

Die Formel von Strontiumtitanat lautet SrTiO3. Die Kugelpackung wird, bezogen auf eine Formeleinheit, aus 4 Ionen (3 Sauerstoff– und ein Strontium–Ion) gebildet, und es ist nur ein einziges Ion zur Besetzung der Oktaederlücken vorhanden. In der kubisch–dichtesten Kugelpackung sind aber genauso viele Oktaederlücken wie Kugeln vorhanden (→ Kapitel 7.3.2.5.). Die Folgerung ist, dass nur ein Viertel der Oktaederlücken besetzt wird. Diese Tatsache wird später noch einer Menge komplexer Auswirkungen haben.

Zuerst aber steht die Frage im Raum : Welches Viertel ? Der erste Schritt wird sein, die Oktaederlücken zu identifizieren. Sehen Sie sich dazu noch einmal Bild 4 an. Die Elementarzelle der kubisch–dichtesten Kugelpackung enthält 4 Kugeln (→ Kapitel 7.3.2.7.). Sie enthält also auch 4 Oktaederlücken. Deren Positionen habe ich in Kapitel 7.3.2.9. beschrieben. Sie liegen im Mittelpunkt des Elementarzellenwürfels und auf seinen Kantenmitten. Die Oktaederlücke im Würfelzentrum ist belegt, mit einem Titan–Ion. Die Oktaederlücken auf den Kantenmitten sind nicht belegt. Warum auf den 12 Würfelkanten genau 3 Kugeln (Oktaederlücken) liegen, habe ich in Kapitel 7.1.3.4 erklärt.

Ist Ihnen beim Betrachten der Oktaederlücken etwas aufgefallen ? Die Lücke, die vom Titan–Ion belegt wird, hat nur Sauerstoff–Ionen als Nachbarn. Oder anders gesagt, das positiv geladene Titan–Ion hat nur negativ geladene Sauerstoff–Ionen als Nachbarn. Das ist wichtig, denn die Kugeln der Kugelpackung und die Lücken berühren einander (→ Kapitel 7.4.1.1. – Lückenfüllen), und das geht nur, wenn die Ionen entgegengesetzt geladen sind. Die anderen 3 Oktaederlücken haben als Nachbarn positiv geladene Strontium–Ionen und negativ geladene Sauerstoff–Ionen. Dort können weder positive noch negative Teilchen sein, denn sie würden immer gleichnamige Ladungen berühren. Wir haben Glück gehabt, und der Einwand von weiter oben (Umgebung der Strontium–Ionen) kann zurückgewiesen werden. Die Ladungsverteilung ist uns nicht auf die Füße gefallen.

7.4.13.4. Eine andere Sichtweise – Netzwerk

Netzwerk aus Oktaedern

Bild 9 : Netzwerk der Oktaeder im Perowskit–Strukturtyp. Farbcodierung : Strontium, Titan, Sauerstoff.

Das Netzwerk im Perowskit–Strukturtyp ist übersichtlich. Es besteht aus Oktaedern. Jeder hat ein Titan–Ion im Zentrum und 6 Sauerstoff–Ionen an den Ecken. Einen dieser Oktaeder haben Sie bereits in Bild 5 gesehen.

Bild 9 zeigt einen Ausschnitt, der insgesamt 8 Oktaeder umfasst. Jeder liegt zentral in einem Elementarzellenwürfel (4 Elementarzellen sind eingezeichnet). Die Sauerstoff–Ionen an den Ecken jedes Oktaeders liegen auch gleichzeitig auf den Flächenmitten des Würfels. Weil jedes Sauerstoff–Ion zu 2 Würfeln gehört, berührt dort jeder Oktaeder einen weiteren. Und weil jeder Würfel 6 Seitenflächen hat (und jeder Oktaeder 6 Ecken), berührt jeder Oktaeder 6 weitere Oktaeder.

Die Oktaeder berühren sich an den Ecken. Deshalb nennt man das Netzwerk eckenverknüpft (engl. corner sharing oder vertex sharing).

Es scheint selbstverständlich zu sein, dass alle Oktaeder die gleiche Ausrichtung haben. In würfelförmigen Elementarzellen, die aneinander gereiht werden, ist ja nichts anderes möglich. Jedoch wird es bald um Varianten des Perowskit–Typs gehen, bei denen diese Bedingung nicht mehr erfüllt ist.

Perowskit–Strukturtyp ABX3
kubisch–dichteste Kugelpackung
xxxx wird aus A– und X–Ionen gebildet
Oktaederlücken
xxxx zu einem Viertel von B–Ionen besetzt
Netzwerk
xxxx aus eckenverknüpften Oktaedern gleicher Ausrichtung

 

7.4.13.5. Der Toleranzfaktor

Viele Stoffe mit der Summenformel ABX3 nehmen den Perowskit–Strukturtyp an, aber nicht alle.

Was sind die Gründe für dieses Verhalten ? Es gibt mehrere. Eine, rein geometrische, Bedingung werde ich in diesem Abschnitt vorstellen, und ich werde darauf eingehen, was passiert, wenn sie nicht erfüllt ist.

Diese Bedingung ist der Toleranzfaktor (engl. tolerance factor). Er wurde von Victor M. Goldschmidt (→ Fußnote 1) in den 1920er Jahren eingeführt.

Ausschnitt des Perowskit-Strukturtyps

Bild 10 : Elementarzelle (EZ2) des Perowskit–Strukturtyps mit einer Ebene. Farbcodierung : Strontium, Titan, Sauerstoff.

--- Fußnote 1 ---- Hier lauert eine Falle. Es gibt 2 Personen mit dem Namen Victor M. Goldschmidt, und beide haben sich mit Kristallen beschäftigt. Victor Moritz Goldschmidt gehört zu den Begründern von Geochemie und Kristallchemie und hat in diesem Rahmen den Toleranzfaktor eingeführt, während Victor Mordechai Goldschmidt ein Jahrzehnt früher (1913) mit seinem umfassenden Werk „Atlas der Krystallformen” Maßstäbe setzte.

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Demnächst bearbeite ich diesen Abschnitt weiter.

Es kann aber noch etwas dauern.

 

 

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