Bild 1 : So entsteht die tetragonal dichte Kugelpackung.
Versucht man, Kugeln (und dabei ist es egal, ob es um Tennisbälle, Atome oder andere kugelförmige Dinge geht) möglichst platzsparend zu packen, erhält man die kubisch dichteste oder die hexagonal dichteste Kugelpackung. In der tetragonal dichten Packung sind die Kugeln etwa 3 % weniger dicht gepackt, und sie ist recht komplex aufgebaut. Sie wurde erst 1981 entdeckt (L245).
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Bild 2 : 2 Leitern aus Kugeln. Die Nachbarn der schwarzen Kugel sind farbig.
Bild 3 : leiterförmige Anordnungen von Kugeln
Sehen Sie sich dazu Bild 2 und 3 an. Beide zeigen dieselbe Szene, einmal als reale Kugelpackung, dann schematisch. In Bild 2 ist links eine leiterförmige Anordnung zu sehen, die sich nach oben und unten unbegrenzt fortsetzt. Eine schwarze Kugel ist herausgehoben, die sowohl im Zentrum unserer weiteren Betrachtungen als auch im Zentrum eines Kugelhaufens stehen wird. In derselben Leiter sind 3 rote Kugeln. Bild 3 zeigt, dass in dieser Leiter Sprossenabstand und Sprossenlänge (d.h. die Leiterbreite) gleich sind. Die 3 roten Kugeln sind also gleichweit von der schwarzen entfernt.
Rechts von der ersten Leiter ist eine zweite. Auch sie setzt sich nach oben und unten unbegrenzt fort. Auch bei ihr (wie bei allen folgenden Leitern) sind Sprossenabstand und Sprossenlänge gleich. Die zweite Leiter steht senkrecht zur ersten, eine halbe Sprosse höher (oder tiefer, wie Sie wollen), und sie ist so angeordnet, dass die Verlängerung einer Sprosse der ersten Leiter die zweite genau in der Mitte eines Quadrats aus 4 Kugeln trifft. Die 4 grünen Kugeln sind also gleichweit von der schwarzen entfernt.
Sind sie auch genauso weit wie die roten entfernt ? Ja, das sind sie. Es war dazu nur nötig, die zweite Leiter in der richtigen Entfernung von der ersten zu plazieren. Bis jetzt hat die schwarze Kugel 7 Nachbarn, die alle gleichweit entfernt sind.
Bild 4 : 4 Leitern aus Kugeln
Bild 5 : endlose Reihen von Leitern
Bild 6 : Die Nachbarn der schwarzen Kugel
Bild 4 zeigt die Szene von oben. Die Leiter mit der schwarzen und den 3 roten Kugeln und die zweite Leiter mit den 4 grünen Kugeln sind leicht identifizierbar.
Hinzugekommen sind 2 weitere Leitern. In jeder sind 2 Kugeln blau markiert. Die neuen Leitern sind parallel zur zweiten Leiter, und sie sind wie diese gegenüber der ersten Leiter um eine halbe Sprosse nach oben verschoben. Eine Verlängerung einer Sprosse der beiden neuen Leitern trifft die erste Leiter immer genau in der Mitte eines Quadrats aus 4 Kugeln. Und die neuen Leitern haben den passenden Abstand. Ihr Abstand zur ersten Leiter ist derselbe wie der Abstand der ersten zur zweiten Leiter.
Was bedeutet das für die 4 blauen Kugeln ? Sie haben in der ersten Leiter jeweils 4 Nachbarn, von denen sie gleichweit entfernt sind, und von denen sie genauso weit entfernt sind wie die rote von den grünen Kugeln. Welche Nachbarn sind das ? Jede der 4 blauen Kugeln hat als Nachbarn : erstens die schwarze Kugel, zweitens die rote Kugel, die auf der gleichen Sprosse wie die schwarze liegt, drittens und viertens 2 Kugeln (eine rote und eine hellbraune), die eine Sprosse höher oder tiefer liegen.
Und was bringt das ? Wir haben 4 neue Nachbarn der schwarzen Kugel gefunden. Es sind die 4 blauen. Die schwarze Kugel hat 11 Nachbarn, die gleichweit von ihr entfernt sind.
Die Anordnung der Leitern setzt sich endlos fort. Nach oben und unten werden sie einfach immer länger. In den anderen Raumrichtungen erkennen Sie das System aus Bild 5. Jede Kugel in dieser Anordnung hat 11 nächste Nachbarn. Außerdem sehen Sie in Bild 5 2 weiße Kugeln. Sie sind knapp 23 % weiter von der schwarzen Kugel entfernt als die vielen bunten. Bild 6 zeigt nochmal die 11 Nachbarn.
In der tetragonal dichten Kugelpackung hat jede Kugel 11 nächste Nachbarn.
Bild 7 : Elementarzelle der tetragonal dichten Kugelpackung
Für das Gewirr aus Leitern und die krumme Zahl von 11 Nachbarn ist die Elementarzelle erstaunlich einfach. Man nennt ihre Form orthorhombisch, das heißt, sie ist ein Quader. Boden und Dach sind Quadrate, die 4 Seitenwände sind kongruente Rechtecke. Sie enthält 4 Kugeln und ist in Bild 7 zu sehen. Die schwarze und die rote Kugel, und ebenso die braune und die zweite rote Kugel liegen auf der Diagonale der Quadrate. Die beiden blauen Kugeln liegen auf halber Höhe und ebenfalls auf einer Diagonalen.
Weiter oben, im Abschnitt über den Aufbau, habe ich mehrfach darauf hingewiesen, dass die Abstände der Leitern passen müssen. In Zahlen heißt das : Das Verhältnis der kurzen zu den langen Seiten der Elementarzelle muss 0,5858 (genau 1 / ( 1 + 0,5 sqrt(2) ) ) betragen. Die Kristallkoordinaten der 4 Kugeln lauten (x/x/0), (1-x/1-x/0), (0,5+x/0,5-x/0,5) und (0,5-x/0,5+x/0,5). Dabei ist x = 0,2929, also gerade die Hälfte des Seitenverhältnisses.
Bild 8 : Ausschnitte aus der hexagonal dichtesten und der tetragonal dichten Kugelpackung
In der tetragonal dichten Packung hat jede Kugel 11 nächste Nachbarn, bei den beiden dichtesten Packungen sind es 12. Da stellt sich schnell die Frage, ob zwischen diesen Packungen doch eine engere Verwandtschaft vorliegt als es auf den ersten Blick scheint. Kann man vielleicht sogar die eine in eine der anderen umwandeln, ohne den ganzen Kristall neu aufzubauen, sondern indem man nur wenige Kugeln eine kurze Strecke hin und her schiebt ?
Sehen Sie sich Bild 8 an. Zuerst sehen Sie einen Ausschnitt der hexagonal dichtesten Kugelpackung. Sie blicken von der Seite auf 3 Schichten der Packung. Die schwarze Kugel hat 12 Nachbarn, 6 davon in der gleichen Schicht, je 3 in der darüber liegenden und der darunter liegenden Schicht. Ich habe die 12 Nachbarn farbcodiert, damit Sie sie im zweiten Teil wiedererkennen.
Dort ist ein Ausschnitt aus der tetragonal dichten Kugelpackung. Sie blicken diesmal von oben auf die quadratischen Flächen der Elementarzelle (sie ist also gegenüber Bild 7 um etwa 90° gedreht). In der Mitte ist wieder die schwarze Kugel mit ihren 6 Nachbarn der gleichen Schicht (je 2 grüne, rote und blaue). Jedoch bilden diese 7 Kugeln keine perfekte Schicht, sondern eine ungleichmäßig eingedrückte Schicht. Solche Schichten nennt man gewellt (engl. corrugated) oder verzerrt (engl. distorted). Man kann also aus der mittleren Schicht der hexagonal dichtesten Packung durch nur kleine Verschiebungen die mittlere Schicht der tetragonal dichten Packung erhalten.
In der oberen Schicht haben die beiden grünen Kugeln in beiden Packungen fast dieselben Plätze. Sie können also auch durch nur kleine Verschiebungen ineinander überführt werden. Die weiße Kugel ist in der hexagonal dichtesten Packung ein Nachbar wie alle anderen. Sie hat die gleiche Entfernung wie die anderen Nachbarn. In der tetragonal dichten Packung dagegen ist sie knapp 23 % weiter von der schwarzen Kugel im Zentrum entfernt. Sie ist die einzige, die einen größeren Weg zurücklegen muss.
In der unteren Schicht sind wieder alle 3 Kugeln (blau, blau, rot) fast an den gleichen Plätzen, in der hexagonal dichtesten Packung in einer echten, glatten Schicht, in der tetragonalen in einer gewellten Schicht. Wieder sind nur kleine Verschiebungen nötig.
Man kann die tetragonal dichte Kugelpackung und die hexagonal dichteste Kugelpackung durch kleine Verschiebungen ineinander umwandeln.
Hoppla, da waren wir wohl etwas zu schnell. Bevor wir fragen, warum etwas passiert, sollten wir fragen, ob es überhaupt passiert. Und, passiert es ? Sind Stoffe mit der zweitbesten Möglichkeit zufrieden und nehmen die tetragonal dichte Packung an ?
Die Geometrie regiert Es gibt Situationen, in denen sich Kugeln nach rein geometrischen Prinzipien packen. Das können Stahlkugeln oder Tennisbälle sein, und genauso ungeladene Atome. In solchen Situationen packen sich die Kugeln immer nach in der beiden dichtesten Kugelpackungen (kubisch oder hexagonal), niemals in der tetragonal dichten Packung.
Die Geometrie regiert nur selten In Kristallen tragen die Atome oft Ladungen. Dabei benutzt man meist ein sehr einfaches Modell, bei dem man annimmt, die Atome tragen ganze Ladungen. Zum Beispiel stellt man sich den NatriumchloridKristall so vor, dass er aus NatriumIonen und ChlorIonen aufgebaut ist. Das ist aber ein zu einfaches Modell. Ein besseres beschreibt Kristalle mit Atomen, die eine mehr oder weniger große Teilladung tragen. Zwischen den Atomen mit einer positiven Teilladung und denen mit einer negativen Teilladung wirken elektrostatische Kräfte (CoulombKräfte), die zu einer mehr oder weniger starken Anziehung der Atome führen. Diese kann man berechnen. Außerdem sollte man noch die Abstoßung berücksichtigen, die einfach dadurch auftritt, dass sich Atome zu nahe kommen. Dann findet man, dass bei einigen Verbindungen der allgemeinen Formel AB2 die tetragonal dichte Kugelpackung mit gefüllten Oktaederlücken energetisch günstiger ist (das heißt, sie hat einen geringere Gitterenergie) als die hexagonal dichteste. Das ist zum Beispiel beim Rutil (TiO2) der Fall (L247).
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